Dieses "Muster des Monats" ist weniger ein Muster als eine Form, und zwar (solange wir in zwei Dimensionen denken) die denkbar einfachste. Und es ist ohne Drohne schwer zu fotografieren. Meistens erwischt man nur einen Ausschnitt - hier zum Beispiel die rechte Hälfte. Im nächsten Bild sieht man es ausnahmsweise ganz.

Neben diesen versunkenen Waldinseln inmitten von Wiesen oder offener Heidelandschaft gibt es auch die umgekehrte Variante: eine kreisrunde, oftmals bewirtschaftete Lichtung mitten im Wald. Hier bin ich mangels Fotodrohne auf einen Hochsitz geklettert, um so ein Exemplar zu dokumentieren, aber leider stand ein Baum im Weg:

Also behelfe ich mir mit einem Luftbild aus dem hervorragenden geografischen Informationssystem (GIS) der Gemeinde Sežana im slowenischen Karst. Der Ort ist Kopriva, wo wir gerade in einem alten Bauernhaus Urlaub machen. Ringsum sieht die Landschaft aus, als wären hier einst zahlreiche Asteroiden eingeschlagen. Überall sieht man Kreise, teils mit Bäumen bewachsen, teils offen, teils von einem Baumring umgeben:

Tatsächlich sind die Kreise oder - wenn wir die dritte Dimension einbeziehen - schüsselförmigen Senken aber Dolinen. Die Bezeichnung leitet sich vom slowenischen Wort für Tal ab. Toponyme, also Bezeichnungen für Landschaftsformationen, gehören zu den ganz alten Wörtern, an denen man erkennt, dass die slawischen Sprachen zur indogermanischen Sprachfamilie gehören: Dolina, dale, Delle, Tal - die Verwandtschaft ist unverkennbar.

Die englische Bezeichnung ist anschaulicher: sinkhole, also Senkloch. Im Untergrund des Karsts hat das Wasser den Kalkstein so weit aufgelöst, dass sich zunächst Höhlen gebildet haben. Irgendwann ist die Decke einer solchen Höhle eingebrochen, und der darüber liegende Boden ist in den Hohlraum gerutscht.

Weder die Höhlen noch die Löcher in den Decken müssen rund sein: Das System, das durch den Bruch in Bewegung gerät, minimiert ganz von selbst seine Energie. Und ähnlich wie der Fangtrichter eines Ameisenlöwen im Sand oder ein Kieshaufen, den wir irgendwo aufschütten, ist die Gestalt, die sich bei dieser Entwicklung des physikalischen Systems hin zu einem neuen Gleichgewicht einstellt, ein Kegel. Die Spitze der kegelförmigen Vertiefung wird anschließend mit Erdreich (im slowenischen Karst Kalksteinrotlehm oder Terra rossa) aufgefüllt, das sich etwa durch Niederschläge einebnet.

Hier und da sieht man aber noch nackte Erde mit eingebetteten grauen bis weißen Kalksteinen, was zeigt, dass man dem Untergrund nicht ganz trauen kann:

Die Terra rossa, von der sich auch der Name der autochthonen (d. h. einheimischen, nur hier kultivierten) roten Rebsorte Teran ableitet, ist recht fruchtbar und hält Niederschläge gut, sodass im hiesigen Karstgebiet Wein, Gemüse, Feigen- und Olivenbäume sowie Lavendel gedeihen und die Wiesen üppiges Futter für Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen abwerfen:

Der helle Kalkstein wird seit Jahrtausenden abgebaut und nicht nur zu endlosen Mauern an den Grundstücksgrenzen zusammengefügt, sondern auch in den Häusern verbaut. Er lässt sich gut bearbeiten und wird beispielsweise an Türen und Toren kunstvoll verziert:

Auch der Schlussstein des Hauses, in dem wir unseren Urlaub verbringen, ist mit einem landwirtschaftlichen Motiv (wohl einer Rübe?) verziert; er stammt aus dem Jahr 1784:

Sogar Regenrinnen wurden aus Kalkstein gehauen, etwa hier in dem schönen Festungsstädtchen Štanjel:

So robust dieses Gestein als Baumetarial ist, so leicht wird es unter der Erdoberfläche vom Grundwasser angegriffen, sodass viele der Brocken Löcher haben - Miniaturhöhlen sozusagen:

Das schon erwähnte GIS der hiesigen Gemeinde zeigt auch Grundstücksgrenzen an - und hier wird deutlich, dass Dolinen bei der Bewirtschaftung des Landes eine große Rolle spielen. Oft besteht eine Doline aus mehreren Parzellen, oder das Innere ist durch ein ringförmiges Grundstück vom Umland abgetrennt.

Manche Dolinen sind einfach Bestandteile der umliegenden Wiesen - wie hier:

Oftmals finden sich an ihrem Boden aber Felder (hier ergänzt durch Weinstöcke auf dem günstig zur Sonne ausgerichteten Teil des Hangs):

Denn der Boden einer Doline ist vom Wind geschützt, der hier in Form des Bora ziemlich heftig wehen kann, und ist zumeist auch feuchter als die Umgebung. Mancherorts bilden sich sogar jahreszeitliche Tümpel, weil der Lehm die Niederschläge zurückhält. Zurzeit sind diese Tümpel weitgehend ausgetrocknet. Hier erkennt man noch an der Vegetation im Loch rechts neben der alten Schäferhütte, dass der Boden feucht ist:

In anderen Dolinen sind Bäume gewachsen, weil das Vieh und das Wild die steilen, rutschigen Hänge so lange gemieden haben, bis die jungen Pflanzen, die hier gut vorm Wind geschützt waren und genug Wasser fanden, aus dem Gröbsten heraus waren:

Die meisten Dolinen in unserer Nachbarschaft haben einen Durchmesser von vielleicht 15 bis 30 Metern. Es gibt aber auch wesentlich größere Exemplare wie dieses zwischen Avber und Kopriva, das auf den Karten treffend als Veliki Dol, also "großes Tal" bezeichnet wird. Diese Senke, die ich nur mit der Panoramafunktion der Kamera einigermaßen einfangen konnte, ist etwa 200 mal 300 Meter groß und 40 Meter tief:

Hier sind die mikroklimatischen Unterschiede besonders deutlich. Oberhalb der Senke findet sich eine typische Trockenrasenvegetation, auf der sich gestern zahlreiche Gottesanbeterinnen ein Stelldichein gaben:

Und am Grund war das Gras nass, obwohl es seit Tagen nicht geregnet hatte:

In einer anderen, von außen völlig unauffälligen Doline erwartete uns eine Überraschung - zunächst eine schöne, dann eine erschreckende:

Hier ist der Boden nicht zur Gänze mit Terra rossa bedeckt, sondern es tut sich eine Höhle auf, die 125 Meter lange Jama Pipenca:

Warum vor ihr ein großes Holzkreuz steht, haben wir erst nach der Rückkehr in unser Bauernhaus mit der Hilfe eines Onlinewörterbuchs verstanden: Dies ist einer der vielen Tatorte des sogenannten Foibe-Massakers, bei dem 1943 und 1945 im Karst ansässige Italiener von jugoslawischen Partisanen umgebracht wurden. Sie wurden - teils bei lebendigem Leib - in Karsthöhlen geworfen.

Der Inschrift zufolge wurden 2014 die Überreste von 13 Opfern aus der Jama Pipenca geborgen: das Ende des Versuchs, diese Menschen wortwörtlich von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen.