Kürzlich habe ich diese alte Buche am Rheinufer ausgemessen. Ihr Stamm hat in Brusthöhe einen Umfang von 471 Zentimetern und ist demnach etwa 276 Jahre alt: 

Alte Buche am Rheinufer (Nähe Seilbahnstation)

An diesem Standort ist das durchaus möglich, aber für einige andere Kölner Baumriesen und -senioren geben die einschlägigen Tabellen und Tools, die ich im letzten Beitrag vorgestellt habe, unplausibel hohe Werte an. So ist es unwahrscheinlich, dass die Preußen in den Festungsrayons, die heute den Inneren Grüngürtel bilden, größere Bäume geduldet haben. 

Hier zum Beispiel ein Silber-Ahorn, der sich bereits gut einen Meter über dem Boden in vier mächtige Hauptäste gabelt. Seinem Umfang nach (444 Zentimeter unterhalb der Verzweigung) müsste er etwa 255 Jahre alt sein, also um das Jahr 1765 herum gekeimt sein:

Silber-Ahorn im Inneren Grüngürtel (Ecke Innere Kanalstraße/Niehler Straße)

Hat der Baum die Militärverwaltung wirklich nicht gestört, als sie hier zwischen 1816 und 1846 (da wäre er schon 80 gewesen!) den Festungsring ausbaute? Oder sind die Bäume vielleicht doch jünger? Wachsen sie womöglich im Stadtklima erheblich schneller als im Umland?

Die Antwort ist, wie so oft: Kommt drauf an. Nämlich auf das Wo und das Wann. Und sie ist nicht nur von akademischem Interesse (wenn ich mein verschrobenes Hobby so bezeichnen darf), sondern spielt auch für den praktischen Klimaschutz eine große Rolle. Denn wenn wir auch in den Städten zusätzliche Bäume pflanzen wollen, um möglichst viel Kohlenstoff langfristig zu binden und die Atmosphäre so zu entlasten, liegt es nahe, robuste, schnell wachsende Baumarten zu wählen, die ein hohes Alter erreichen und viel Biomasse enthalten. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass ein schnelleres Wachstum mit einer kürzeren Lebensspanne einhergeht: dass die Turbo-Bäume sozusagen früh vergreisen. Und wenn sie sterben, ist es vorbei mit der Kohlenstoffbindung - es sei denn, man fällt sie rechtzeitig und verarbeitet ihr Holz zu sehr langlebigen Gebäuden.

In vielen Regionen der USA scheinen Stadtbäume - insbesondere Straßenbäume - tatsächlich schneller zu wachsen als ihre Artgenossen im Umland. Bäume in städtlischen Parks nehmen eine Mittelstellung ein, wie David J. Nowak und sein Team 2013 in ihrer Arbeit "Carbon storage and sequestration by trees in urban and community areas of the United States" ausführen: In 6 Bundesstaaten wuchsen Waldbäume im Durchschnitt 2,29-mal langsamer und Parkbäume 1,78-mal langsamer als die Straßenbäume der 28 in die Studie eingeschlossenen Städte. Die Autoren erklären sich das unter anderem mit der geringeren Konkurrenz um Licht und andere Ressourcen in der Stadt, wo die Bäume größere Abstände zueinander haben. Auch in Wäldern kann man beobachten, dass sich das Wachstum eines Baums beschleunigt, wenn seine Nachbarn gefällt werden oder durch einen Sturm unfallen. Dabei nimmt vor allem der Stammumfang zu, denn der Baum muss nicht mehr so viel Kraft in sein Höhenwachstum stecken, um ans Licht zu gelangen. Er verändert also auch seine Gestalt. In den Städten erhalten Bäume auch oft zusätzliche Nährstoffe und Wasser. 

Außerdem beginnt die Wachstumsperiode in den Städten früher, und sie endet später, da die Temperatur hier im Mittel um 1,5 °C und im Extremfall sogar bis zu 10 °C höher ist als im Umland. Laut Celina Stanley et al. (2019) haben Bäume in Städten 8 bis 10,5 Tage mehr Zeit zu wachsen als im Umland - bei einer Gesamtlänge der Wachstumsperiode von etwa 180 Tagen. In Parks betrug der Zeitgewinn immerhin noch 5 Tage pro Jahr. Und das vor der Kulisse des Klimawandels, der wegen des Temperatur- und des CO2-Anstiegs in den letzten Jahrzehnten ohnehin zu einer beträchtlichen Verlängerung der Wachstumsperiode aller Pflanzen geführt hat.

Zugleich gibt es in der Stadt auch wachstumshemmende Einflüsse. Da wäre wiederum die Temperatur, die im Sommer deutlich über dem Optimum liegen und auch zu Trockenstress führen kann; daneben die Bodenversiegelung, die die Aufnahmen von Regenwasser und den Gasaustausch in der Rhizosphäre (also bei den symbiotischen Mikroorganismen an den Wurzeln) hemmt, und die Versalzung der Böden in Straßennähe. 

Ob nun die wachstumsfördernden oder die hinderlichen Faktoren überwiegen, hängt - wie Hans Pretzsch et al. 2017 erklärt haben - wesentlich von der Klimazone ab, in der eine Stadt liegt. In der borealen Ökozone oder kaltgemäßigen Klimazone wachsen Stadtbäume erheblich schneller als Bäume auf dem Land, und an beiden Standorten hat sich das Wachstum seit den 1960ern deutlich beschleunigt. In den Subtropen wuchsen Stadtbäume vor 1960 schneller als ihre Artgenossen auf dem Land, aber seither erreichen Bäume auf dem Land in derselben Zeit dieselbe Größe wie in der Stadt. Auch rings ums Mittelmeer hat sich das Baumwachstum seit 1960 beschleunigt, aber es gibt keine Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Bei uns aber, in der gemäßigten Klimazone, wachsen Stadtbäume signifikant langsamer als Bäume auf dem Land! Und das gilt sowohl für die Zeit vor 1960 als auch für die Gegenwart. Die Autoren haben das unter anderem an Winterlinden in Berlin, Platanen in Paris und Rosskastanien in München ermittelt. Also ist es unwahrscheinlich, dass ich das Alter "meiner" Bäume in Köln systematisch überschätzt habe - eher im Gegenteil.