Wo stehen die ältesten und imposantesten Bäume Kölns? Da sich das Kölner Baumkataster als völlig unzuverlässig erwiesen hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als interessante Bäume auf meinen Spaziergängen selbst zu bestimmen und ihr Alter zu schätzen. Wie aber macht man das, wenn man keine Jahresringe zählen kann? Wie findet man heraus, wann etwa die mächtige, stark zurückgeschnittene Pappel rechts neben diesem Teich am Theodor-Heuss-Ring gepflanzt wurde? 

Bäume im Park am Theodor-Heuss-Ring in Köln; rechts eine alte Pappel

Fachleute können mit einem Instrument namens Resistograph eine Bohrwiderstandsmessung vornehmen: im Grunde eine dünne Bohrung, bei der sie die Jahresringe nicht selbst zählen müssen, sondern anhand des periodisch schwankenden mechanischen Eindringswiderstands der Bohrspitze die Zahl der Jahre angezeigt bekommen. Dabei wird der Baum aber beschädigt, ganz abgesehen davon, dass ich als Privatperson nicht das passende Gerät habe und mich damit auch strafbar machen würde.

Also messe ich den Stammumfang in Brusthöhe - die Literatur sagt: irgendwo zwischen 100 und 150 Zentimetern über dem Boden:

Umfangsmessung in Brusthöhe

Der Stamm hat einen stattlichen Umfang: 595 Zentimeter. Geteilt durch Pi erhält man den Durchmesser in Brusthöhe (diameter in breast height, dbh), ein gängiges Maß in der wissenschaftlichen Baumliteratur: gut 189 Zentimeter. Da jede Baumart einen charakteristischen jährlichen Zuwachs hat, kann ich mithilfe von Umrechnungsfaktoren vom Umfang oder Durchmesser auf das Alter schließen. Pappeln wachsen deutlich schneller als etwa Eichen; der Faktor für den Umfang beträgt laut dieser Tabelle 0,5:

Faktor 0,8: Eiche, Linde

Faktor 0,7: Eibe, Föhre, Rosskastanie

Faktor 0,6: Buche, Ahorne, Ulme, Tanne

Faktor 0,5: Esche, Schwarzpappel, Fichte, Lärche, Nussbaum, Erle, Robinie

Faktor 0,4: Edelkastanie, Platane, Zeder

Faktor 0,3: Mammutbaum

Demnach wäre dieses Exemplar etwa 300 Jahre alt. Es gibt auch ein praktisches Umrechnungstool auf einer Website namens "Baumportal", das Baumalter-Schätz-o-meter. Für die Pappel gibt es ein ungefähres Alter von 268 Jahren an - oder aber ein "Geburtsjahr" um 1752 herum.

Das ist seltsam, denn dann müsste die Pappel schon hier (ungefähr beim roten Punkt) gewachsen sein, als die alte Stadtmauer noch stand und am späteren Theodor-Heuss-Ring von 1811 an ein preußischer Sicherheitshafen angelegt wurde, in den sich Schiffe bei Eis und Hochwasser retten konnten: 

Der Sicherheitshafen im Kölner Norden (1811-1895)

Erst nach dem Winter 1894/1895 - da müsste die Pappel bereits etwa 140 Jahre alt gewesen sein - wurden die letzten Reste des Hafens zugeschüttet, und man legte einen Park an. Hier eine Karte aus dem Jahr 1902, wieder mit dem ungefähren Standort des Baums:

Karte aus dem Jahr 1902 mit dem neuen Park am Deutschen Ring, heute Theodor-Heuss-Ring

Das passt alles nicht zusammen. Ist der Baum womöglich wesentlich jünger? Er hat ja eine extrem dicke und tiefrissige Borke: 

Die tiefrissige Borke der Pappel am Theodor-Heuss-Ring ist mindestens 9 bis 10 Zentimeter dick.

Ziehen wir die Borke ab, so verringert sich der Durchmesser des Baums von 189 auf etwa 170 Zentimeter. Damit komme ich mit dem Schätz-o-meter auf 241 Jahre; das ist immer noch die Epoche der Stadtmauer und des Hafenbeckens. Außerdem sollte die Borkendicke in den Umrechnungsfaktoren eigentlich berücksichtigt sein.

Nun gibt es viele verschiedene Pappeln, von denen einige besonders schnell wachsen - und gerade deshalb gerne gepflanzt wurden, wenn man auf Holz aus war. In Köln stehen auch Hybriden zwischen der Kanadischen Schwarzpappel (Populus deltoides) und der Europäischen Schwarzpappel (Populus nigra): sogenannte Bastard-Schwarzpappeln (Populus × canadensis). Sieht man in einem amerikanischen Pendant des Baumalter-Schätz-o-meters nach, nämlich im Tree Calculator des amerikanischen Clifton Park, so erhält man für einen "Cottonwood" (so der Trivialname, der von den baumwollartigen Samen der Schwarzpappeln herrührt) mit 189 Zentimetern oder 75 inch Durchmesser ein Alter von etwa 150 Jahren - schon besser!

Damit hätte dieses Exemplar etwa 1870 das Licht der Welt erblickt. Da gab es den Sicherheitshafen zwar noch, aber wenige Jahrzehnte später wurde hier ein Park angelegt, der im Jahr 1899 bereits so üppig aussah:

Blick vom heutigen Ebertplatz in Richtung Rhein, 1899

Am heutigen Standort der Pappel gab es da bereits etliche gar nicht mal so kleine Bäume. Man hat damals häufig Bäume an anderen Standorten ausgebraben und vorsichtig umgesetzt, damit neu angelegte Grünflächen gleich etwas hermachten. Das zeigt zum Beispiel diese Anzeige, mit der der Kölner Stadtgartendirektor 1885 gleich 500 gut gewachsene Platanen suchte:

Anzeige aus dem Jahr 1885

Womöglich hat man also im Jahr 1895 oder kurz danach eine bereits etwa 25 Jahre alte, besonders schnellwüchsige Pappel an ihren heutigen Standort verpflanzt.

Schön und gut - aber ist die Grundannahme hinter den Tabellen und Tools zur Schätzung des Alters von Bäumen eigentlich gerechtfertigt: dass der Stammdurchmesser linear mit dem Alter zusammenhängt, also der jährliche Zuwachs im Mittel bei jungen, mittelalten und alten Bäumen einer Art gleich bleibt? 

Die folgenden beiden Diagramme zeigen, dass das Dickenwachstum von Linden mit den Jahren u. U. ein wenig nachlässt. Die erste Kurve ist kaum merklich nach oben gekrümmt, die zweite (in der die X- und Y-Achse gegenüber der ersten Darstellung vertauscht sind) ist eine klare Sättigungskurve:

Das Alter von Winterlinden, gegen ihren Stammdurchmesser aufgetragen. Abb. aus Jan Lukaszkiewicz et al., Determining the age of streetside Tilia cordata trees with a dbh-based model. Journal of Arboriculture 31(6): November 2005

Der Stammdurchmesser von Linden, gegen ihr Alter aufgetragen. Abb. aus Flemming Kjølstad Larsen and Palle Kristoffersen: Tilia's physical dimensions over time. Journal of Arboriculture 28(5): September 2002

Man erkennt aber auch eine breite Streuung der Durchmesser gleich alter Bäume. Gegenüber dieser Varianz fällt die Nichtlinearität der idealisierten Alterskurve kaum ins Gewicht. Für eine grobe Altersschätzung kann man daher ruhig annehmen, dass die Jahresringe im langjährigen Mittel eine artspezifische, aber altersunabhängige Dicke haben. 

Ist es u. U. sinnvoll, zusätzlich zur Stammdicke die Höhe des Baums in die Schätzung einzubeziehen? Jan Lukaszkiewicz and Marek Kosmala haben das 2008 vorgeschlagen und mit diesen sogenannten Nomogammen wohl auch präzisere Altersschätzungen erzielt:

Artspezifische Nomogramme zur genaueren Altersschätzung. Abb. aus Jan Lukaszkiewicz and Marek Kosmala: Determining the Age of Streetside Trees with Diameter at Breast Height-based Multifactorial Model. Arboriculture & Urban Forestry 2008. 34(3):137–143

Für mich ist dieses Verfahren aber nicht praktikabel. Erstens kann man die Höhe von Bäumen sowohl in beengten Straßen als auch in Wäldern vom Boden aus nur schlecht schätzen oder messen. Und zweitens korreliert die Höhe eines Stadtbaums oftmals nur ganz schlecht mit seinem Alter, da er u. U. in den ersten Jahren alle Kraft in sein Höhenwachstums steckt, um aus dem Schatten der Bebauung oder der benachbarten Bäume herauszukommen. Das erkennt man gut an der Platanenallee direkt vor unserem Haus, in der abgestorbene Exemplare offenbar durch neue Platanen ersetzt wurden, etwa den schlanken Baum hier rechts:

In der Mitte der Weißenburgstraße in Köln bilden Platanen unterschiedlichen Alters eine Allee.

Ich habe sowohl den hier in der Mitte stehenden Baum ausgemessen (Umfang in Brusthöhe 258 Zentimeter, Alter demnach etwa 107 Jahre) ... 

Platane mit einem Umfang von 258 cm

... als auch den schlanken Stamm rechts davon (Umfang 65 Zentimeter, Alter demnach etwa 27 Jahre):

Platane mit einem Stammumfang von 65 cm

Blickt man nach oben, so sieht man, dass beide Bäume - und alle anderen Platanen in der Doppelreihe - ungefähr gleich hoch sind. Ihre Kronen lassen kaum ein Stück des Himmels frei. Die später nachgepflanzte Platane hat offenbar zunächst alles daran gesetzt, ihre Blätter ans Licht zu bringen - auf Kosten ihrer Gestalt, denn sie hat etwas von einem Riesenspargel:

Die junge Platane hat erst spät Hauptäste ausgebildet, um möglichst schnell aus dem Schatten der alten Nachbarn herauszukommen.

Also bleibe ich lieber bei reinen Umfangsmessungen, für die ich in den letzten Wochen schon einige schräge Blicke geerntet habe. Bei dem engen Kontakt mit den Stämmen ("Den Baum berühren ... Den Baum spüren ...") bekomme ich einiges mit, das mir bisher nie so recht aufgefallen war. So ist es bei den Platanen in meiner Straße ziemlich egal, ob ich ihren Umfang nun 1,20 oder 1,40 Meter über dem Boden messe, denn die Stämme sind halbwegs zylindrisch. Das sieht bei diesen alten Platanen im Stadtgarten ganz anders aus:

Alte Platanen im Kölner Stadtgarten mit ausladenden Wurzelansätzen

Hier verjüngen sich die Stämme in den unteren ungefähr zwei Metern beträchtlich, oder anders gesagt: Sie haben ausladende Wurzelansätze, die fast schon an die Brettwurzeln von Urwaldriesen erinnen. Da kann die Altersschätzung locker um 50 Jahre variieren zwischen zwei Umfangmessungen 100 Zentimeter und 150 Zentimeter über dem Boden. 

Der Baum im Vordergrund hat übrigens in Brusthöhe einen Umfang von beachtlichen 548 Zentimetern: Diese Platane wäre demnach ungefähr 227 Jahre alt. Der Stadtgarten wurde zwar erst 1827, also vor nicht einmal 200 Jahren angelegt, aber 1857 wurden "exotische Bäume" aus einem Botanischen Garten hierhin umgesetzt, der wegen des Hauptbahnhof-Baus aufgegeben werden musste. Das könnte also passen.

Ganz ausgeprägt ist die konische Silhouette im unteren Stammbereich auch bei diesem mächtigen Mammutbaum in einem privaten Park südlich von Bonn. Hinzu kommt eine Kannellierung, wie bei einer griechischen Säule: Was genau messe ich, wenn ich mein Maßband da einfach herumspanne? Überschätze ich sein Alter dann?

Mammutbaum vor Haus Annaberg, südlich von Bonn. Hier gab es 1865-1875 eine Baumschule mit exotischen Bäumen.

Mammutbäume wachsen besonders schnell. Bei einem Umfang von vielleicht acht Metern (Ich habe ihn nicht gemessen!) wäre dieses Exemplar laut der oben zitierten Tabelle immerhin 240 Jahre alt, laut Baumalter-Schätz-o-meter aber nur 105 Jahre. Zum Gut Annaberg gehörte von 1865 bis 1875 eine Baumschule, aus der vermutlich die exotischen Bäume des Parks stammen. 145 bis 155 Jahre: Das liegt zwischen den beiden Schätzwerten und ist damit plausibel.

Alles in allem zeigt sich, dass die Messung des Stammumfangs in Brusthöhe die einzige mir offenstehende Methode zur Altersermittlung ist - und dass sie nur ganz grobe Schätzungen ermöglicht.

Und dabei habe ich ein Problem noch gar nicht angesprochen: Wachsen Bäume in unseren Großstädten mit ihrer höheren Durchschnittstemperatur, der längeren Vegetationsperiode, der starken Bodenversiegelung und der ausgeprägten Sommertrockenheit nun schneller oder langsamer als auf dem Land? Dazu demnächst mehr.