Feuerwanzen lieben Linden und bilden gerne Aggregationen.

 

Mit diesem Beitrag beginnt etwas Neues. Bei Twitter hatte ich es schon angekündigt, wenn auch nicht als Kolumne, sondern als #Baumblog - denn anfangs war unklar, ob das Projekt in einem neuen Blog seine Heimat findet oder hier, unter dem Dach von "Principia". Bei dem Hashtag wird es auch bleiben, denn er klingt einfach schöner als "Baumkolumne".

Angefangen hat alles mit der Vorbereitung auf den Workshop zum Zusammenhang von Klimawandel und Biodiversität, den ich im Sommer 2019 beim "Fridays for Future"-Kongress gehalten habe: Ich habe dabei viel über Phänologie gelernt, also über den Einfluss des Klimas auf die jahreszeitliche Entwicklung der Pflanzen und Tiere. Danach habe ich über ein Citizen-Science-Projekt nachgedacht, bei dem Menschen in Köln und Umgebung durch die Beobachtung von phänologischen Ereignissen wie dem Knospen oder Erblühen der Bäume den Klimawandel oder die Unterschiede zwischen Stadt- und Landklima auf eine andere Weise sinnlich erfahren könnten als durch Temperatur- und Klimagasmessungen. 

Alte Pappel mit zahlreichen Misteln

 

Allerdings bräuchte man sehr viele Citizen Scientists mit ziemlich langem Atem, um aus den Daten eindeutige Trends abzuleiten, denn der phänologische Kalender zeigt in Deutschland große Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren. Praktisch wäre auch ein öffentlich zugängliches, aktuelles, vollständiges und zuverlässiges städtisches Baumkataster. Nun gibt es zwar auf dem Portal "Offene Daten Köln" einen entsprechenden Datensatz, aber einige Stichproben in meiner Nachbarschaft haben mir schnell klar gemacht, wie lücken- und fehlerhaft die Angaben darin sind.

Also doch kein großes, aufwändig zu realisierendes und nachzuhaltendes Citizen-Science-Projekt, für das wohl auch eine App hätte entwickelt oder angepasst werden müssen. Stattdessen habe ich es eine Nummer kleiner versucht: Auf der Basis von Alters- und Ortsangaben im Baumkataster wollte ich nach und nach die 100 ältesten Bäume im Stadtgebiet besuchen und porträtieren. Doch die vermeintliche Alterskönigin im Datenbestand, eine knapp 200-jährige Linde, war vor Ort nicht zu finden: Zwar stehen in der Straße Linden, aber sie sind alle erst in den 1980er-Jahren gepflanzt worden. Der "Rekord" war wohl ein Zahlendreher, und offenbar prüft niemand die Angaben, die die Begeher beim Grünflächenamt einreichen, auf ihre Plausibilität. Auch die nächsten Versuche schlugen fehl: Entweder war weit und breit kein besonders alter Baum zu finden, oder ich stieß nur noch auf eine Baumscheibe, weil der Baum mittlerweile gefällt werden musste, oder da stand zwar ein mächtiger, alter Baum, aber seine ungefähr ebenso alten Nachbarn waren nicht verzeichnet. So soll die linke Schwarznuss in diesem Bild etwa 113 Jahre alt sein, das fast ebenso hohe und dicke Exemplar rechts aber erst 28 Jahre:

Zwei Schwarznuss-Bäume in der Wörthstraße. Ist der rechte wirklich 85 Jahre jünger als der linke? Das Kölner Baumkataster behauptet das.

 

Die wenigen wirklich alten Bäume auf dem Stadtgebiet stehen zumeist in Parks - und sind im Kataster überhaupt nicht verzeichnet. Was für eine Enttäuschung!

Dennoch: Die Begeisterung für Bäume wurde durch meine innerstädtischen Stichproben-Expeditionen neu entfacht. Schließlich war Botanik im Biologiestudium mein Hauptfach, und 2019 wurde viel darüber diskutiert, welchen Beitrag eine weltweite Aufforstung zur Kohlenstoffbindung und damit zur Abschwächung des Klimawandels leisten kann. Dabei kristallisierte sich rasch heraus, dass die Bewahrung alter Baumbestände aller Mühe wert ist, denn große, alte Bäume binden viel mehr Kohlenstoff und tragen auch sonst mehr zu einer lebenswerten Umwelt bei als junge Exemplare, womöglich auch noch in Monokulturen angepflanzt.

Dann schlug die saisonale Depression zu. Die Batterien waren leer, einschließlich aller Reserven. Neben beruflichen Belastungen haben vermutlich auch die Klimakrise und die mit ihr verbundenen Aktivitäten zu dieser tiefen Erschöpfung beigetragen. Zwar geht es inzwischen wieder etwas bergauf, aber ich habe mir vorgenommen, dieses Jahr besser auf mich zu achten und mich nicht in öffentlichen Diskussionen aufzureiben. Und auch da kommt mir das Thema Bäume gerade recht: Es hat viele wissenschaftlich und klimapolitisch interessante Aspekte, ermöglicht aber auch den Rückzug aus aufgeregten Debatten und einsame Spaziergänge. 

Basis-Equipment für meine Baumbesuche

 

Inzwischen habe ich diese Basisausstattung immer dabei: ein Maßband, eine Tabelle zur Altersabschätzung der wichtigsten Baumarten aus ihrem Umfang, mein Smartphone (mit einer wirklich, wirklich schlechten Kamera, aber hier geht es nicht um technische Brillanz!), ein Mini-Mikroskop, das ich an dieses Handy anklipsen kann, ein Taschenmesser (sowieso seit Jahren mein ständiger Begleiter) und einige Filmdöschen für Proben, die ich zu Hause näher untersuchen will. An freien Tagen, an denen ich sonst nichts zu schleppen habe, nehme ich auch meine "gute" Kamera mit, eine DMC-FZ 1000. 

Die Ausbeute meiner letzten kleinen Expedition: Ahornsamen und Pappelblätter in unterschiedlichen Abbaustadien, Borke mit Bewuchs, Mistelzweige.

 

Was ich bei diesen Baum-Besuchen beobachte, was ich später unter der Lupe sehe und was ich dann über die Bäume und das Leben auf ihnen lese, schreibe ich hier auf. Und für den Start ist Januar gar kein so unergiebiger Monat, wie man spontan meinen könnte. Ohne ihr Laub sind viele Bäume zwar schwerer zu bestimmen und weniger bunt, aber dafür fallen andere Aspekte stärker ins Auge: ihre charakteristische Silhouette, verlassene Vogelnester, die Textur der Borke, auch Beschädigungen oder Beschnitt, Misteln und kleinere Epiphyten wie Algen, Flechten und Moose ... So schnell werden mir die Themen nicht ausgehen!

Im Winter erkennt man die Silhouetten unserer Laubbäume (hier im Kölner Rheinpark) besonders gut.

 

(Postscriptum: Das letzte Muster des Monats war schon fast die erste Folge der Baumkolumne. Und als Nächstes nehme ich mir ein ebenso einfaches wie verblüffendes und anrüchiges Phänomen vor.)