Nach langer Pause nehmen wir die Kolumne "Muster des Monats" wieder auf. Wenn alles nach Plan verläuft, werden wir ihr dieses Jahr weitere Kolumnen zur Seite stellen, zum Beispiel mit Makro- und Mikroskopfotos oder über besondere Bäume in der Stadt. Und damit sind wir schon beim Thema: Bäume. Was hat es mit der erstarrten Schlange auf sich, die sich hier durch die Wiese windet?

Zunächst ein Anhaltspunkt für die Größe der Schlange; es ist eher eine Riesen-Anakonda als eine Ringelnatter:

Im November habe ich den Rheinpark am rechten Rheinufer besucht - zeitgleich mit einigen Hundert Gänsen auf dem Durchzug:

Der Rheinpark zeichnet sich durch große, alte Bäume aus, die zum Teil sehr dicht am Ufer stehen: 

Viele von ihnen sind kanadische Pappeln (Populus canadensis), die wohl durch eine natürliche Kreuzung Europäischer und Amerikanischer Schwarz-Pappeln (Populus nigra × Populus deltoides) entstanden sind und angeblich zwischen 1896 und 1926 im Rheinpark angepflanzt wurden. Hier der Fuß des Exemplars, das ich mir näher angesehen habe; es ist vermutlich über 100 Jahre alt:

"Angeblich" und "vermutlich" deshalb, weil ich die Altersangaben dem Baumkataster der Stadt Köln entnommen habe, das sich als ausgesprochen fehlerhaft erwiesen und mir schon Expeditionen zu vermeintlich sehr alten Bäumen eingebrockt hat, die sich vor Ort als Produkt von Zahlendrehern erwiesen. Der Rheinpark geht auf eine Grünanlage zurück, die laut Wikipedia erst ab 1907 angelegt wurde. Am Stammumfang erkennt man aber, dass die Pappeln wirklich ziemlich alt sind.

Pappeln haben sowohl senkrecht nach unten reichende als auch horizontale Wurzeln, die - wie hier zu sehen - ganz dicht an oder gar über der Oberfläche wachsen. Die weißen Kreuze zeigen, wie weit diese sichtbaren Horizontalwurzeln reichen, nämlich mehrere Meter:

Wurzeln sind im Prinzip ähnlich aufgebaut wie die Stämme und Äste von Bäumen: In der Mitte bestehen sie aus Holz, außen aus Bast. Beide Gewebetypen werden vom geschlossenen Kambiumring oder -zylinder hervorgebracht, der nach außen lebendige Bastzellen absondert (auch sekundäres Phloem genannt) und nach innen Holzfasern und andere Bestandteile des sogenannten Xylems, die bald absterben. Im Bast transportiert der Baum aktiv Zucker, Aminosäuren und andere Substanzen aus den Blättern in die Wurzeln oder zurück. Das Holz dient zum einen dem passiven Transport von Wasser und darin gelösten Salzen, angetrieben durch die Verdunstung an den Blättern, und bildet zum anderen das stabile Stützgewebe des Baums.

Im Unterschied zum Stamm und Geäst, in dem sich Frühholz aus Zellen mit großem Innendurchmesser zum effektiven Wassertransport mit Spätholz aus sehr dickwandigen Zellen mit Stützfunktion abwechselt, sind die Holzzellen in den Wurzeln alle relativ weit und dünnwandig. Daher treten die Jahresringe hier nicht so klar zutage; ich habe sie gepunktet angedeutet:

Pappeln wachsen oft in der Nähe von Flüssen, genau wie die mit ihnen verwandten Weiden. Bei Hochwasser ist der Boden oft bis fast zur Oberfläche mit Wasser gesättigt; die Horizontalwurzeln sorgen dann dafür, dass die Bäume nicht "absaufen". Wird die Wiese, auf der sie stehen, ab und zu gemäht, so verletzt der Rasenmäher die Oberseite dieser Wurzeln. Er säbelt dort die Bastschicht (B) und ein wenig Holz (H) ab, wie in der folgenden Skizze durch die waagerechte Linie angedeutet.

Da das nun in der Mitte bloßliegende Holz bereits tot ist, beschränkt sich die Wundheilung auf die beiden Ränder: Dort, wo der Kambiumzylinder mit den noch teilungsfähigen Zellen angeschnitten wurde, bildet sich ein Kallus (K), also eine Schwiele aus zunächst undifferenzierten Zellen, die sich stark teilen und dann in einen Bast- und einen Holzanteil aufgliedern. Die entstehende Wülste aus Wundholz (WH) wachsen nicht nur in Richtung der Wundmitte, sondern wölben sich auch nach oben. Daher werden sie früher oder später ebenfalls vom Rasenmäher erwischt (2 waagerechte Linien). Zugleich verwittert oder verrottet das ungeschützte tote Holz in der Mitte der Wunde allmählich, sodass sich hier eine Rinne bildet (H†).

Jetzt wiederholt sich der Vorgang: An den nunmehr vier Stellen, an denen der Kambiumzylinder erneut gekappt wurde, bildet die Wurzel vermehrt Bast und Holz, um die Wunde zu verschließen oder zu verkleinern. So entstehen vier Wülste, die irgendwann vom Rasenmäher gekappt werden, und so weiter:

Wäre hier kein Rasenmäher als wiederkehrendes Unheil im Spiel, so könnte der Baum kleinere Wunden irgendwann komplett verschließen, wie es diese Kastanie mit einem Astloch getan hat:

Oder er würde die Wunde zumindest durch breite Wülste verkleinern und sich zugleich mechanisch stabilisieren wie diese Platane:

Die Pappelwurzel aber wird immer wieder heimgesucht, sodass sich Wulst an Wulst reiht und in der Mitte, in den Senken aus verrottendem Holz, Feuchtigkeit stehen bleibt und Algen und Moose wachsen:

Auch holzzersetzende Pilze finden in diesen Wurzelwunden ein Einfallstor. Hier hat sich an einer Wurzelverzweigung ein großer Fruchtkörper gebildet:

Ansonsten gesunde Pappeln vertragen aber einiges. Schließlich leben sie seit Jahrmillionen an Flüssen, wo sie periodisch wiederkehrendem, reißendem Hochwasser mit Kieseln oder Eisschollen ausgesetzt sind, die an ihren Stämmen und Horizontalwurzeln scheuern.

Auch weitere Eigenschaften der Schwarz-Pappeln wie ihr Fortpflanzungsmodus sind an das Leben am Flussufer angepasst. Aber dazu später mehr: in unserer neuen Baum-Kolumne. Frohes neues Jahr!