Frühling liegt in der Luft. Höchste Zeit, einen eher herbstlichen Artikel fertigzustellen: Was passiert eigentlich beim Laubfall? Sterben die Blätter einfach durch Kälte oder Lichtmangel ab und segeln zu Boden? Natürlich nicht. Der Abbau des Chlorophylls, die Einlagerung von Abfallstoffen in die Blätter, der Abtransport der Nährstoffe über die Zweige und Äste in den Stamm und die Wurzeln, schließlich das Abklemmen der Leitungen an den Sollbruchstellen der Blattstiele: All das sind aktive, gesteuerte Vorgänge, die allgemeinen Regeln folgen, aber auch artspezifisch und umgebungsbedingt variieren.

Sehen wir uns zunächst einige ganze Bäume an, um herauszufinden, wie der Laubfall abläuft. Danach wenden wir uns den einzelnen Blättern zu.

Jeden Herbst gibt es diese relativ lange Phase, in der bestimmte Bäume schon kahl sind, während andere noch keine Anstalten machen, ihr Laub abzuwerfen oder auch nur umzufärben. Kurios ist das in Fällen wie diesem: 

Die beinahe kahlen Silhouetten im Hintergrund sind Schwarz-Pappeln. Die noch voll belaubten Säulen vorne: ebenfalls Schwarz-Pappeln. Tja. Aber während es sich bei den großen Bäumen im Hintergrund wohl um Bastard-Schwarz-Pappeln handelt, stehen etwas weiter vom Rhein entfernt Säulen- oder Pyramidenpappeln, eine Varietät der europäischen Schwarz-Pappel. Durch ihre Wuchsform ist der Transportweg vom Laub bis in den Stamm deutlich kürzer, sodass sie es sich leisten können, das Herbstlicht noch eine Weile zur Photosynthese zu nutzen, bevor sie sich winterfest machen. Außerdem sind weniger hoch und dem Wind nicht so stark ausgesetzt.

Etwas weiter nördlich, am Molenkopf, sind die Linden oben auf dem Damm schön völlig kahl, während ich am Rhein noch unter dem sattgrünen Laub der Silber-Weiden stehe:  

Aber nicht nur zwischen Baumarten oder -varietäten und zwischen exponierten bzw. geschützten Standorten unterscheidet sich der Zeitpunkt des Laubfalls: Auch die unterschiedlichen Zonen eines einzelnen Baums, von der Kronenspitze bis zum Stammfuß, ticken nicht immer synchron. Hier wieder die Linden am Molenkopf, nur zwei Tage zuvor: 

Das Laub in den Kronen hat sich gelb gefärbt und ist zum Teil schon abgefallen. Aber die Wurzelbrut, zu der Linden neigen, trägt noch grüne Blätter. Das hat seine Logik: Lagen diese Blätter bisher meist im Schatten, können sie jetzt noch einmal kräftig Sonne tanken. Und der Abtransport der so gewonnenen zusätzlichen Nährstoffe in die Wurzeln ist wegen des kurzen Weges schnell geschehen.

Allerdings sollte man mit vermeintlichen Regeln des Laubfalls nicht zu schnell bei der Hand sein, denn die örtlichen Verhältnisse prägen das Geschehen in schwer rekonstruierbarer Weise. Hier ebenfalls eine Linde, deren oberer Kronenbereich schon fast kahl ist, während an den unteren Zweigen noch viel Laub hängt:

Aber nur wenige Meter weiter zeigt eine andere Linde das gegenteilige Schema: unten kahl, oben noch belaubt, teils sogar noch grün. Der Wind weht ein wenig anders, die Gebäude werfen andere Schatten, das Wurzelsystem ist vielleicht einmal tiefer, einmal flacher ... Man weiß es nicht. 

Vor dem Lentpark-Schwimmbad stehen eine große und eine kleinere Rotbuche. Die große ist oben schon kahl und trägt an den unteren Ästen noch etwas braunes Laub. Ihre kleinere Nachbarin ist oben ebenfalls schon entlaubt, unten aber zum Teil noch grün. Auch hier dürften der Wind und die unterschiedlich langen Transportwege das Schema erklären:

Besonders schön ist dieser Gradient zwischen Kronenspitze und Boden bei Kirschbäumen: Das Laub der unteren Äste und Zweige ist noch grün vom Chlorophyll. In den mittleren Etagen ist dieses Photosynthese-Molekül schon zu einem großen Teil abgebaut, sodass die gelben Carotinoide das Bild prägen. Sie sind überwiegend schon vorher in den Blättern vorhanden und wurden vom Chlorophyll nur überdeckt. Ganz oben leuchten die Kirschbäume rot. Hier haben die Blätter in ihrer äußeren Schicht, der Epidermis, eigens neue Pigmente hergestellt: die Anthocyane.  

Wozu Anthocyane im Herbstlaub dienen, ist nicht ganz klar. Entweder sie stellen gewissermaßen einen Schutz vor Sonnenbrand dar und ermöglichen den Blättern einen gemächlichen, kontrollierten Rückbau des Photosynthese-Apparats zum Zwecke der Stickstoff-Rückgewinnung. Oder sie signalisieren Schadinsekten, dass der Baum noch zu vital ist, um ihn zu befallen.

Auch die Haut von Früchten ist oft durch Anthocyane rot oder blau gefärbt. Und bestimmte Zierpflanzen werden eigens wegen ihrer spektakulären herbstlichen Rotfärbung geschätzt, etwa die Selbstkletternde Jungfernrebe:

Auch diese Brombeere zeigte Ende Oktober viel Anthocyan:

Das rote Herbstlaub erinnert an den Frühling, in dem viele Pflanzen ihr junges, noch dünnes Laub zunächst rot färben, bevor die Haut dicker wird und die Blätter auch durch eine Wachsschicht geschützt werden. Dann erst entsteht das empfindliche Chlorophyll, etwa bei dieser Zierkirsche, deren Blätter sich gerade von Rot über einen hellen Braunton zu Grün umfärben:  

Über das anfangs rote Laub der Blutbuche, einer Varietät der Rot-Buche, habe ich ja letztes Jahr schon geschrieben

Auch viele Ahorn-Zuchtformen haben im Frühjahr sattrote Blätter - hier in einem reizvollen Kontrast zu den grüngelben Blüten: 

Gerade nordamerikanische Ahorne, aber auch andere nordamerikanische Laubbäume sind bekannt für eine besonders intensive Rotfärbung im Herbst - warum auch immer. Andere Baumarten verzichten auf Anthocyane und werfen ihre Blätter ab, wenn sie sonnengelb sind - wie dieses Birkenlaub: 

Die mit den Birken verwandten Erlen können es sich dagegen leisten, ihr Laub grün abzuwerfen. Denn über die Wurzeln stehen sie mit Knöllchenbakterien im Austausch, die ihnen im Zuge einer Symbiose jederzeit genug Stickstoff zur Verfügung stellen, um neues Chlorophyll und neue Proteine zusammenzubauen. Sie müssen also kein Recycling betreiben.

Aber wie genau läft die Entgrünung und Umfärbung der Blätter ab? Lassen sich dabei ähnliche Gradienten beobachten wie an den ganzen Bäumen? Oft ja, wie bei den Buchenblättern in der Fotomitte:

Während die Blattspreite schon weitgehend gelb oder gar bräunlich ist, bleiben die Blattadern noch grün. Dasselbe Spiel bei diesen Lindenblättern, die vom Rand her vergilben und ansonsten dort am wenigsten grün sind, wo der Abstand zu den Adern am größten ist: 

Der Ab- und Umbau fängt also da an, wo die Transportstrecke am längsten ist. Die Transportwege selbst, die Leitbündel in den Adern, müssen bis zuletzt gut "im Saft stehen". Auch der farbenfrohe Ahorn hält sich an diese Regel: 

Am Schluss sind wirklich nur noch die Blattadern grün: 

Sobald das Blatt vom Baum getrennt ist, kommt der Umbau zum Erliegen. Und wenn auch keine Mikroorganismen das Laub zerfressen, kann so ein Ahornblatt noch wochenlang bunt bleiben, obwohl es in der Zimmerluft rasch völlig austrocknet: 

Aber keine Regel ohne Ausnahmen. Hier sind die Blattadern und ihre Umgebung vergilbt, während die weiter entfernten Teilen der Blattspreite noch grün sind: 

Manchmal werden auch Teile eines Blattes von anderen Blättchen bedeckt, was den Umbau dort verzögert, oder der Befall mit Pilzen oder Pflanzenviren verändert das Muster: 

Auch der Aufbau der roten Anthocyane folgt nicht immer einer klaren Regel: 

Bei diesem Eichenblatt scheinen zwei Regionen vergessen worden zu sein, während alles andere schon trocken und braun ist: 

Bei solchen Funden am Boden ist allerdings unklar, was vor und was nach dem Blattfall passiert ist. Der Blattfall, in der Botanik Abszission genannt, ist jedenfalls kein passiver Vorgang, sondern wird vom Baum aktiv herbeigeführt: Ausgelöst wohl durch den Temperaturabfall im Herbst und vermittelt durch Pflanzenhormone entsteht in der "Sollbruchstelle" am Blattgrund, also am Ende des Blattstiels, eine Trennschicht. Deren Zellen haben unvollständige Zellwände, die durch Enzyme weiter aufgeweicht werden. Unter der Trennschicht bildet sich eine Schutzschicht, in die etwas Kork eingelagert wird. Sie isoliert das Blatt und verschließt gewissermaßen die Wunde, die durch den Blattfall entsteht. Zuletzt werden die Leitbündel im Blattstiel mit undurchlässigen Substanzen verstopft. Dann kann schon ein schwacher Windstoß das Blatt ablösen.

Dass Vertrocknen und Wind alleine nicht ausreichen für den Laubfall, erkennt man gut an Ästen und Zweigen, die bei einem Herbststurm abgeknickt oder abgebrochen sind wie bei dieser Stiel-Eiche:

Während sich der Rest der Krone seines Laub entledigen konnte, wurden im abgebrochenen Ast keine Hormonsignale empfangen und keine Trenn- und Schutzschichten in den Blattstielen gebildet. Also hängt das trockene, braune Laub dort immer noch, Wind hin oder her. 

Eine Frage habe ich noch gar nicht beantwortet: Warum müssen Laubbäume im Herbst überhaupt ihre Blätter loswerden? Weil sie sonst im Winter elendig verdursten würden: Über die riesige Gesamtoberfläche des Laubs würde ständig Wasser verdunsten, aber die Wurzeln könnten aus dem Boden zumindest phasenweise nicht genug Wasser aufnehmen, weil dieses schlicht gefroren ist. Also weg damit - und im Frühjahr neue Photosynthese-Fabriken aufbauen. Die nötigen Nährstoffe lagert der Baum bis dahin ein - und damit fängt er, wie wir gesehen haben, meistens an den äußersten Enden der Zweige und der einzelnen Blätter an.