Diese kleine Felseninsel an der Halbinsel Knoydart in Nordwesten Schottlands hat an ihrer Basis deutliche horizontale "Streifen". Was hat es damit auf sich?
Da das Wetter trüb war, ist das Bild dummerweise nicht besonders kontrastreich, aber man sieht über der Wasseroberfläche zunächst eine dunkelgrüne Zone und dann eine auffallend gelbliche Zone, deren Obergrenze schnurgerade und scharf ist. Darüber liegt ein grau-schwarzer Streifen, gefolgt von einer Zone mit allerlei unregelmäßigen weißen, grauen und hellgrünen Flecken, und an der Oberkante des Bildes Gras und Büsche:
Auch aus der Ferne ist klar, dass diese Farbänderungen nichts mit der Gesteinsschichtung zu tun haben - an den Rissen im Gestein erkennt man, dass die Schichten steil nach links unten geneigt sind, während die Zonierung völlig horizontal parallel zur Meeresoberfläche liegt. Sie hat also mit dem Meer zu tun.
Schauen wir uns die gelbe Zone genauer an, die etwa zwei Meter breit ist. Zur Insel selbst konnte ich nicht hinüber, aber die Gesteine am Strand, an dem ich stand, haben dieselbe Farbe:
Beim genaueren Hinsehen sind die Gesteine selbst schwarz, aber von gelblichen Seepocken bedeckt:
Seepocken sind ein Beispiel für eigentümlichen Meeresbewohner, die man nicht recht in eine Organismengruppe einordnen kann, wenn man sich noch wenig mit Meeresbiologie beschäftigt hat. Tatsächlich gehören sie zu den Krebstieren, auch wenn sie gar nicht wie Krebse aussehen. Als Larven schwimmen sie frei im Wasser, doch irgendwann haften sich an einen harten Untergrund fest und werden sesshaft - meist auf Felsen und Steinen, aber auch auf den Schalen größerer Muscheln, Schnecken und Krebse, an Schiffsrümpfen und sogar auf der Haut von Walen. Sie produzieren einen Klebstoff, mit dem sie ihren Kopf untrennbar mit dem Untergrund verkleben, und ihre Anatomie verändert sich.
Das Bild zeigt die erwachsenen, sesshaften Tiere mit ihrem kegelförmigen Körper. An der Kegelspitze befindet sich eine Öffnung, die mit zwei Kalkplättchen verschließbar ist. Wenn die Seepocken der Luft ausgesetzt sind wie auf dem Bild, dann sind diese Deckel verschlossen, um Austrocknung zu verhindern - diejenigen Seepocken auf dem Bild, bei denen die Öffnung offen ist, sind abgestorben, es ist nur noch die leere Schale vorhanden. Die Beine der Tiere befinden sich im Inneren, sie dienen jedoch nicht mehr der Fortbewegung, sondern der Ernährung: Sie sind zu Reusen umgeformt, die das Tier bei Hochwasser durch die Öffnung streckt, um organische Partikel aus dem Wasser zu filtern.
Damit ist auch schon angedeutet, welchen Hintergrund die horizontale Zonierung hat, die wir in den ersten Bildern beobachtet haben. Der gelbliche Streifen ist die Gezeitenzone, die bei Niedrigwasser - wie im Bild - trocken fällt, aber bei Hochwasser unter Wasser liegt ist. In dieser Zone siedeln Organismen, die einerseits auf das Meerwasser angewiesen sind, aber andererseits auch das Trockenfallen überstehen können - wie die Seepocken, die sich unter Wasser ernähren, aber bei Niedrigwasser ihre Schalen verschließen. Die relativ scharfe Oberkante, die wir im zweiten Bild gesehen haben, ist die Hochwasserlinie - darüber können Seepocken nicht mehr leben, weil sie niemals (bzw. nur selten bei Sturmfluten oder ähnlichen Extremereignissen) vom lebenswichtigen Meerwasser bedeckt werden.
Seepocken sind an dieser Felsküste die dominante Gruppe in der Gezeitenzone, doch auch andere Tiere leben hier:
Am unteren Bildrand und rechts der Mitte sieht man einige leuchtend weiße Schnecken mit vertrautem spiraligen Gehäuse. Für Ungeübte schwerer zu erkennen sind die Napfschnecken mit ihrem einfachen, napfförmigen Gehäuse. Bei Hochwasser wandern sie umher und grasen Algen von den Steinen ab, doch bei Niedrigwasser saugen sie sich ganz fest in Mulden im Gestein fest und können sich so vor Austrocknung schützen. Hier sind zwei in Nahaufnahme zu sehen; sie sind selbst wieder von Seepocken bewachsen:
An allen Gezeitenküsten kann man eine Zonierung in grob drei Zonen erkennen: die Gezeitenzone selbst sowie je eine Zone darunter und darüber. Die Gezeitenzone nennt man auch Intertidal (= "zwischen den Gezeiten [Tiden]"), Litoral (von lat. litus = "Küste") oder spezifischer Eulitoral (mit der griech. Vorsilbe eu = "wohl, gut", also etwa "eigentliche Küstenzone"). Darunter befindet sich das Sublitoral ("unter der Küste") oder Subtidal ("unter den Gezeiten"), und darüber logischerweise das Supralitoral oder Supratidal ("über der Küste/den Gezeiten").
Dies sind aber nur sehr grobe Einteilungen. In der Realität sind verschiedene Organismen unterschiedlich gut fähig, das periodische Trockenfallen zu überleben. Je höher man sich innerhalb der Gezeitenzone befindet, desto länger sind die Organismen in jedem Gezeitenzyklus der Luft ausgesetzt. Meeresorganismen müssen sich in dieser Zeit nicht nur gegen das Austrocknen schützen, sondern auch gegen viel höhere Temperaturschwankungen sowie gegen Vögel, die bei Niedrigwasser nach Nahrung suchen. Manche Organismen besiedeln daher nur den untersten Bereich, andere bevorzugen die höheren Regionen, und die drei großen Zonen sind noch - je nach Küste unterschiedlich - in mehrere Unterzonen geteilt.
Auch in unserem Fall sieht man dies. Während die Seepocken die gesamte Gezeitenzone nutzen, wird der unterste Bereich in den ersten beiden Bildern von etwas Dunkelgrünem dominiert. Auch der Strand ist im unteren Bereich nahe des Wassers von dieser Masse bedeckt:
Es handelt sich um Blasentang, eine Braunalge:
Die namengebenden Gasblasen wirken als Schwimmkörper und richten die Pflanze unter Wasser auf. Der Tang ist auf den unteren Bereich der Gezeitenzone beschränkt, da er im oberen Bereich zu lange im Trockenen läge und austrocknen würde.
In den ersten beiden Bildern sieht man über der gelblichen Zone der Seepocken noch einen schwarzen Streifen. Dies dürfte das Supratidal, also die Zone über der Hochwasserlinie, sein. Es wird normalerweise durch die Gezeiten nicht überflutet, sodass Meeresorganismen dort nicht überleben. Andererseits ist es aber salzigem Spritzwasser, gelegentlichem Hochwasser sowie der mechanischen Arbeit der Wellen ausgesetzt, sodass sich auch Landpflanzen nicht ansiedeln - das Gestein ist hier blank und die schwarze Gesteinsfarbe ist erkennbar. Erst darüber beginnt eine Zone, in der zunächst Flechten und Moose (die weiße und hellgrünen Flecken in den ersten beiden Bildern) und darüber dann auch Gefäßpflanzen gedeihen.