Was ist hier zu sehen?
Das Objekt ähnelt einem Stück Baumstamm, aber die Struktur der Scheibe ist anders, als man es von Bäumen kennt: keine Ringe, stattdessen seltsame dunkle Noppen. Und auch die Wurzeln sehen nicht wie Baumwurzeln aus, sondern wie ein Schopf von Würmern:
Tatsächlich handelt es sich um den Stamm einer Palme im Royal Botanic Garden in Edinburgh. Hier ein lebendes Exemplar:
Leider habe ich gar nicht daran gedacht, die ganze Palme zu fotografieren, sodass ich nur den Stamm zeigen kann. Und ich habe mir auch nicht aufgeschrieben, um welche Art von Palmen es sich handelt. Als Ersatz daher hier einige ganz andere Palmen, die im Alcázar-Palast in Sevilla stehen:
Aber wie Palmen oben aussehen, wissen die meisten Leute wahrscheinlich; uns interessieren eher diejenigen Details, auf die man sonst vielleicht nicht so achtet: die Struktur des Holzes und der Wurzeln.
Zwar haben Palmen wie Bäume einen hochgewachsenen, holzigen Stamm, aber damit enden die Ähnlichkeiten schon. Palmen gehören zu den Einkeimblättrigen (Monokotyledonen oder Monokotylen), einer Gruppe von ausdauernden krautigen Pflanzen, die neben den Palmen etwa auch Lilien, Zwiebeln, Spargel, Orchideen und Süßgräser umfasst. Die Einkeimblättrigen sind eine Verwandschaftsgruppe in der Klasse der Bedecktsamer, Laubbäume gehören dagegen zu ganz anderen Gruppen innerhalb der Bedecktsamer, während Nadelhölzer gar nicht zu den Bedecktsamern gehören, sondern eine ganz andere Klasse bilden, die Coniferopsida. Die Nadelhölzer werden wiederum mit Gingkos und den ausgestorbenen Palmfarmen des Erdmittelalters zu den Nacktsamern zusammengefasst. Hach, Pflanzensystematik ist verwirrend!
Worauf es aber hier ankommt, ist der besondere Aufbau der Leitbündel bei den Einkeimblättrigen. Leitbündel sind die Strukturen der Pflanze zum Wasser- und Nährstofftransport. Wichtig sind zwei Teile: Das Xylem (Holzteil), das Wasser von den Wurzeln bringt, und das Phloem (Siebteil), das Nährstoffe von den Blättern nach unten transportiert. Palmen und andere Einkeimblättrige haben geschlossene kollaterale Leitbündel, d. h. Xylem und Phloem verlaufen nebeneinander und sind von einer Leitbündelscheide umgeben - ein ähnlicher Aufbau wie die Stromkabel im Haushalt. Im ersten Bild sind die dunklen Punkte genau diese Leitbündel; sie enthalten viele dunkle, dickwandige Faserzellen. Dazwischen liegt ein weicheres, helleres Grundgewebe, das Parenchym. An diesem Stück im Botanischen Garten ist die Oberfläche schon etwas abgerubbelt, sodass die härteren dunklen Leitbündel als Noppen hervorstehen.
Bäume dagegen haben offene kollaterale Leitbündel: Bei ihnen bildet das Phloem den Bast (einen Teil der Rinde), während das Xylem das eigentliche Holz im Stamminneren bildet. Dazwischen liegt eine weitere Schicht, das Kambium, in dem sich ständig neue Xylem- und Phloemzellen bilden. Ein Baumstamm wächst dadurch nicht nur in die Höhe, sondern wird auch immer dicker, und diesen Dickenzuwachs sieht man in der Baumscheibe als Jahresringe. Bei den geschlossenen Leitbündeln der Palmen dagegen ist ein Dickenwachstum nicht bzw. nur begrenzt möglich, indem die bereits vorhandenen Zellen selbst größer werden. Deshalb ist die Dicke einer Palme von Anfang an festgelegt, und sie wächst nur in die Höhe - wie Grashalme übrigens auch, die ja ebenfalls zu den Einkeimblättrigen gehören. Ältere Palmen fallen durch die fast fragil wirkenden, dünnen Stämme auf, deren Durchmesser über die gesamte Höhe konstant ist:
Äste, die sich wie bei Bäumen in immer dünnere Zweige teilen, gibt es bei Palmen ebenfalls nicht; auch die Leitbündel selbst verzweigen sich nicht. Verzweigungen sind bei dieser Art des reinen Längenwachstums schwer zu realisieren: Wie verzweigt man ein Leitbündel oder einen Ast an der Spitze, wenn man ihn an der Basis nicht gleichzeitig dicker machen kann, um die neuen Verzweigungen auch zu versorgen? Die Wurzeln jedoch müssen eine möglichst große Fläche abdecken, und um dies bei konstanter Dicke ohne Verzweigungen zu erreichen, entspringt an der Basis gleich ein ganzer Schopf von fingerdicken Wurzeln, die dann in alle Richtungen wachsen können:
Übrigens: Schauen Sie sich Ihre Rattanmöbel mal genauer an. Sie bestehen aus Stangen konstanter Dicke, mit einem ähnlichen Fasermuster an den Enden - denn es sind Stämme der Rattanpalme. Anders als Laub- oder Nadelholz muss ihr Holz nicht erst zu gleichmäß dicken Stangen geschnitten werden.