Hat die schraubige Phyllotaxis einen bevorzugten Drehsinn?

Salatherz-Oberhälfte

Schneckenhäuser sind – von oben betrachtet und in der Mitte angefangen – fast immer rechtsherum gewunden; ihr Drehsinn ist genetisch festgelegt. Bei den Wasserwirbeln in ablaufenden Badewannen hat sich die Behauptung, die Coriolis-Kraft würde das Wasser auf der Nordhalbkugel der Erde merklich nach links ablenken, hingegen als Ente erwiesen. Aber wie sieht es mit der schraubigen Blattstellung aus?

Salatherz-Unterhälfte

Der Phyllotaxis-Forschung zufolge wird die Anordnung der Knospen durch die Hemmwirkung festgelegt, die die bereits vorhandenen Blattanlagen auf ihre Nachfolger ausüben. Die zweite Knospe bildet sich daher im ringförmigen Meristem an der Sprossspitze genau gegenüber der ersten, im größtmöglichen Abstand. Und die dritte? Wer oder was entscheidet, ob sie links oder rechts einer gedachten Verbindungslinie zwischen ihren beiden Vorgängern auftaucht? Angeblich der Zufall, aber stimmt das auch? Oder gibt es doch eine – womöglich genetisch festgelegte – Vorzugsrichtung?

Schließlich sind andere Schraubenbewegungen bei Pflanzen auch genetisch determiniert: Stangenbohnen und Sternwinden ranken – in Wachstumsrichtung betrachtet – im Uhrzeigersinn, Hopfen und Geißblatt andersherum. Bei den Such- und Wachstumsbewegungen von Pflanzenkeimlingen, den schon von Charles Darwin untersuchten Circumnutationen, scheint der Drehsinn nicht strikt festgelegt zu sein, aber einigen Berichten zufolge gibt es gewisse Vorzugsrichtungen. Auch äußere Faktoren wie die Wanderung der Sonne über den Himmel könnten den Pflanzen einen Drehsinn aufzwingen.

Das Versuchsmaterial

Viele Salat- und Gemüsesorten weisen eine deutliche schraubige Phyllotaxis auf. Ein Querschnitt durch ein Salatherz (s. oben) lässt zwar einige sog. Parastichen, Spiralen aus eng benachbarten Blättern, erkennen. Wegen der breiten, krausen Blätter ist es aber mühsam, den Drehsinn der Grundspirale zu ermitteln, die die Blätter in der Reihenfolge ihrer Entstehung verbindet. Außerdem würde bei der Beschränkung auf Salatköpfe wohl ein – immerhin vitaminreiches – halbes Jahr verstreichen, bevor eine aussagekräftige Statistik zustande käme.

Doch als Ende November Rosenkohl auf unserem Speiseplan stand, habe ich die Gunst der Stunde genutzt. 46 Röschen enthielt das Netz; allerdings mag es sein, dass einige von derselben Pflanze stammten. Nach dem Entfernen der ausgefransten und schmutzigen äußeren Blättchen habe ich jedes Röschen eingehend betrachtet und seinen individuellen Drehsinn ermittelt. Bei zwei Röschen hatten sich die Blätter während des Wachstums so zurückgefaltet und ineinander verschränkt, dass ich daraus keine klare Abfolge mehr ableiten konnte; bei den übrigen 44 war die Richtung eindeutig zu bestimmen.

Das Ergebnis war fast zu schön, um wahr zu sein – in der "echten Wissenschaft" hätte es mir glatt Manipulationsvorwürfe einhandeln können:

Rosenkohl-Statistik
22  Röschen im Uhrzeigersinn ... und 22 gegen den Uhrzeigersinn!

Es scheint also wirklich von winzigen Zufallsschwankungen in der Pflanzenhormonkonzentration oder in den lokalen Gewebespannungen abzuhängen, ob Blatt Nummer 3 links oder rechts der Verbindungslinie zwischen den beiden ersten entsteht. Auf jeden Fall wird es nicht in gleicher Entfernung zu seinen beiden Vorgängern aufkommen, sondern näher am ältesten, denn die Hemmwirkung des ersten Primordiums ist mittlerweile schon schwächer als die des zweiten. Sobald die Symmetrie erst einmal gebrochen ist, steht der Drehsinn der gesamten Grundspirale fest.

Vor lauter Konzentration auf meine Spiralenstatistik habe ich dann glatt vergessen, die Strünke vor dem Kochen kreuzförmig einzuschneiden, damit sie schneller gar werden. Geschmeckt hat es trotzdem.