Muster- und Strukturenratebild, September 2009
(Zur Auflösung und Erklärung bitte weiterlesen.)
Dieses Bild zeigt Treibeis aus der Vogelperspektive, und zwar im Arktischen Ozean nördlich von Svalbard am 30. Juli 2005. Zu dieser Jahreszeit, am Ende des kurzen arktischen Sommers, hat das Meereis seine geringste Ausdehnung, und weite Bereiche sind von Treibeisschollen bedeckt.
Interessanterweise lässt sich an der Aufnahme nicht erkennen, wie groß der Bildausschnitt eigentlich ist. Wer überlegt, wie groß typische Treibeisschollen in der Arktis im Spätsommer sind, wird vielleicht aus Büchern oder Filmen etwa die folgende Vorstellung vor Augen haben:
Auf diesem Bild, das von einer historischen Polarfahrt des Dampfers "München" im Juli/August 1925 stammt, sind die Schollen einige Meter bis vielleicht hundert Meter groß – doch damit würde man sich beim Rätselbild um mehrere Größenordnungen verschätzen. Tatsächlich umfasst der Ausschnitt des Rätselbildes 40 km x 24 km, jedes einzelne Pixel ist 90 m groß, und die größten Eisschollen haben einen Durchmesser von etwa 10 km. Es handelt sich um ein Satellitenbild, aufgenommen von Landsat 7 aus einer Höhe von 700 km. "Aus der Vogelperspektive" ist also ein wenig untertrieben (sofern man nicht an die Weltraumvögel aus den alten Horror-Sci-Fi-Filmen glaubt)! Das Wellenmuster, das man auf dem Rätselbild deutlich sieht, sind übrigens keine Meereswellen, sondern dünne Wolken (man beachte: sie erstrecken sich über die Schollen hinweg!), vielleicht Cirrocumulus.
Die Schwierigkeit, dem Bild eine Größe zuzuordnen, ist eine Folge der sogenannten Selbstähnlichkeit eines Eisfeldes: Es besteht aus Schollen von wenigen Metern bis hin zu Dutzenden von Kilometern Durchmesser; die kleinen Schollen haben ähnliche Formen wie die großen und sind wiederum von ähnlich aussehenden, noch kleineren Bruchstücken umgeben. Eine derartige Selbstähnlichkeit findet man bei viele Strukturen in der Natur. Man erkennt dies gut, wenn man zwei andere Ausschnitte derselbe Szene vergleicht:
Von der technisch unterschiedlichen Qualität einmal abgesehen, erwecken die Bilder einen nicht allzu unterschiedlichen Gesamteindruck. Tatsächlich ist das linke Bild 120 km x 180 km groß, das rechte nur 6 km x 9 km. Dem linken, das etwa die Größe Schleswig-Holsteins hat, fehlen die extrem großen Schollen, beim rechten sind die kleinsten nicht recht zu sehen, da es an der Auflösungsgrenze des Instruments schon ziemlich verwaschen ist. Dennoch würde es wohl jedem schwerfallen, die Größe der beiden Bilder und der Eisschollen zu beurteilen.
Für die Klimaforschung ergibt sich hier ein praktisches Forschungsproblem. Man möchte feststellen, welcher Anteil der Meeresoberfläche vom Eis bedeckt ist, denn das Eis wirft mehr Sonnenlicht zurück als das dunklere Meer, und es isoliert das Meerwasser gegen die viel kältere Luft und beeinflusst damit dem Wärmeaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre.
Doch wie misst man den Anteil des Eises praktisch? Wenn man mit dem Schiff hinfährt, sieht man nur kleine Ausschnitte und erreicht zudem nur Gegenden, die von kleinen Schollen dominiert sind – wie auf dem Bild der Polarfahrt. Eine Alternative sind Satelliten, die regelmäßig viel größere Flächen beobachten können. Doch die Satellitenkameras haben eine begrenzte Auflösung, sodass man die kleinen Schollen, die einen großen Anteil an der Gesamtmenge haben, nicht sieht. Noch komplizierter wird es, weil sich auf großen Schollen kleine Schmelztümpel bilden. Viele Wissenschaftler erforschen daher Verfahren, mit denen man aus relativ groben Satellitenaufnahmen dennoch gute Abschätzungen der Menge des Eises (und seiner Eigenschaften, wie etwa der Temperatur oder der Bedeckung mit Schmelztümpeln) erhalten kann. Dies war auch der Grund, warum ich an der Universität Edinburgh einmal monatelang derartige Satellitenbilder betrachtet und analysiert habe.
Die Schwierigkeit, die Fläche zu messen, ist typisch für eine Art von Formen, die man Fraktale nennt. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Wenn man nur grob hinschaut, ist das gesamte Meer im Bildausschnitt eisbedeckt. Sieht man genauer hin, so tun sich Lücken auf, und je genauer man misst, desto mehr eisfreie Flächen kommen hinzu. Das Ergebnis hängt also stark von der Auflösung ab, mit der man beobachtet.