Illustration von Mauricio Antón: Große Säugetiere ziehen über eine offene spanische Landschaft
Megafauna im spanischen Jungpleistozän. Mauricio Antón - aus: Caitlin Sedwick (2008), "What Killed the Woolly Mammoth?". PLoS Biology 6 (4): e99. DOI:10.1371/journal.pbio.0060099.

Ganz so malerisch, wohlgeordnet und zugleich dicht gedrängt wie auf dieser künstlerischen Darstellung wird es im jüngsten Eiszeitalter in Europa nicht ausgesehen haben. Was Antón durch dieses Zusammentreffen von gleich fünf großen Säugetierarten aber völlig richtig betont: Im Jungpleistozän, das vor etwa 11.700 Jahren endete, spielte die sogenannte Megafauna weltweit und auch in Europa eine viel größere Rolle als heute, wo wir nur noch in Afrika und Asien einige sehr große Säugetiere finden. Doch was hat das mit Äpfeln zu tun? 

Über die Jahrhunderttausende, in denen zahlreiche große fruchtfressende Säugetiere, Echsen und Laufvögel über die Erde wandelten, entwickelten sich Partnerschaften zwischen diesen sogenannten Megafructivoren mit ihrem enormen Energiehunger einerseits und Pflanzen - insbesondere Bäumen - andererseits. Langlebige Pflanzen mit dichten Kronen haben ja das Problem, dass ihre Nachkommen in ihrer unmittelbaren Nähe kaum eine Überlebenschance haben. Die Kerne des sprichwörtlichen Apfels, der nicht weit vom Stamm fällt, mögen zwar keimen. Aber die Schösslinge, die sich aus ihnen entwickeln, werden vom ausgewachsenen Baum beschattet, sodass es ihnen an Licht mangelt, und sie konkurrieren sowohl mit ihm als auch mit ihren Geschwistern um Wasser und Nährstoffe. Gegenüber dem tiefer wurzelnden großen Baum ziehen sie immer den Kürzeren - es sei denn, er stirbt und macht eine Lücke frei, die langfristig wieder nur für einen neuen Baum reicht.

Also müssen die Samen auf Reisen gehen, um an einer weit entfernten, offenen, ausreichend feuchten und nährstoffreichen Stelle zu keimen. Am besten gelingt das, wenn die Früchte von Tieren gefressen werden, die weit umherstreifen. Wenn diese Tiere vor allem auf das Fruchtfleisch aus sind, können die Samen ihren Verdauungstrakt unversehrt passieren - ja, das Keimungsvermögen kann durch die Passage des warmen, feuchten Darms sogar steigen, und die Keime können vom Dung zehren, mit dem sie in ihrer neuen Heimat ausgeschieden wurden. Das klappt aber nur, wenn sich nicht zu viele andere, kleinere Tiere an den Früchten vergreifen. Denn diese Kleintiere würden die Samen entweder beim Fressen zerstören oder sie nicht weit genug fortschaffen, um der neuen Pflanzengeneration eine langfristige Überlebenschance zu vermitteln.

Um von den passenden Fructivoren vertilgt zu werden, wurden die Früchte und Samen vieler Bäume mit der Zeit so riesig, dass kleine Vögel und Fledertiere, die in den Baumkronen nach Nahrung suchten, sie einfach nicht aufnehmen konnten. Und im Unterschied zu Beeren und anderen kleinen Früchten, deren Samen von Vögeln und Fledertieren in der näheren Umgebung verbreitet werden, entwickelten die meisten von ihnen bei der Reifung keine rote Schale, die sich deutlich vom grünen Blattwerk abhebt. Sie blieben stattdessen unauffällig grün oder braun. Man denke nur an Avocados mit ihrer grünen oder braunen Schale und ihrem riesigen Kern:

Avocados hängen an einem Baum.
Grüne Avocados am Baum (Foto: Public Domain)

Solange zahllose große Säuger über die Kontinente streiften, die solche riesigen Früchte mit Haut und Haar verschluckten und die Samen andernorts - gut angefeuchtet und mit Dünger versorgt - wieder ausschieden, hatten diejenigen Baumarten, die diese Ausbreitungsstrategie verfolgten, gut lachen. Zusätzlich sorgten ihre Verbreitungspartner auch noch für passenden offenen Lebensraum, indem sie die Vegetation zertrampelten und durch Beweidung in Schach hielten. Megaherbivoren lebten nicht nur in offenen Savannen und Tundren, sondern sie erschufen diese Lebensräume.

Mit dem recht abrupten Aussterben der großen Pflanzen- und Früchtefresser, die wohl einer Kombination aus Klimawandel und menschlicher Bejagung zum Opfer fielen, sind einigen Baumarten ihre einzigen Samenverbreiter abhanden gekommen. Man spricht dann von ökologischen Anachronismen: Eine Art "verwaist"; die langlebigen Exemplare existieren noch eine Weile - unter Umständen sogar Jahrhunderte - weiter in ihren Restpopulationen; ein paar ihrer Samen keimen sogar, wenn sie von der Schwerkraft hangabwärts transportiert oder in einer Überschwemmung an einen guten Fleck gespült werden. Aber die Bestände schrumpfen auf wenige kleine Refugien zusammen, in denen auch die genetische Vielfalt abnimmt, weil nur eng verwandte Individuen beisammenstehen. Nach einer Gnadenfrist sterben diese Arten womöglich aus. Eine dieser verwaisten, anachronistischen Arten ist der nordamerikanische Milchorangenbaum oder Osagedorn, dessen bis zu einem Kilogramm schwere, hellgrüne, runzlige, harte Früchte weder dem Menschen noch irgendeiner heutigen Tierart schmecken: 

Jemand hat eine große grüne Frucht des Osagedorns in der Hand
Frucht des Milchorangenbaums (Bruce Marlin, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons)

Einst wurden sie wohl vom Steppenmammut gefressen und verbreitet; heute liegen sie ungenutzt unter den Bäumen, bis sie verwesen oder von einem Gärtner oder dem Grünflächenamt abgeräumt werden. Wenn wir solche Arten nicht durch Ableger und ähnliche Methoden künstlich erhalten, werden sie über kurz oder lang verschwinden. 

Andere Baumarten mit großen Früchten sind nicht auf einen einzigen ökologischen Partner fixiert, sondern gewissermaßen promiskuitiv. Sie haben bessere Überlebenschancen, denn als ihre ehemaligen Hauptsamenverbreiter ausstarben, sprangen andere Säugetierarten ein. Das trifft zum Beispiel auf den Wildapfel zu, der nicht nur Mammuts und Riesenelchen schmeckte, sondern auch Hirschen, Wildschweinen, Bären und Menschen.

Wilde Apfelbaumarten aus der Gattung Malus, die zu den Rosengewächsen gehört, gab es sowohl in Europa und dem Nahen Osten als auch in Ostasien. Überall fanden Menschen Gefallen an den Früchten, die schon vor der Kultivierung relativ groß waren, und nahmen sie auf ihren Reisen mit - nicht nur als Früchte, sondern auch als Ableger, denn sie begriffen bald, dass aus den Samen eines großen, wohlschmeckenden Apfels nur selten Bäume hervorgingen, deren Früchte dieselben begehrten Eigenschaften hatten. Pflanzte man dagegen einen Ableger eines Baums mit guten Äpfeln anderswo an, so erhielt man wiederum gute Äpfel. Wo immer dank der Menschen und anderer Apfel-Verbreiter Apfelbäume unterschiedlicher Herkunft wuchsen, kam es zur Hybridisierung, etwa entlang der Seidenstraße zwischen dem relativ kleinfrüchtigen Europäischen und dem bereits in der Wildform großfrüchtigen Asiatischen Wildapfel: 

Verlauf der Seidenstraße zwischen Europa und dem Nahen Osten einerseits und Ostasien andererseits
Verlauf der Seidenstraße (Cordanrad, CC BY-SA 3.0 Unported, via Wikimedia Commons)

Äpfel und andere Obstbäume wurden also auf völlig andere, weniger zielstrebige Weise kultiviert als beispielsweise Getreide mit seiner wesentlich kürzeren Generationsdauer. Das wilde Obst war bereits relativ groß, es hatte sich gewissermaßen in Kooperation mit den Megafructivoren selbst domestiziert. Der Mensch trat einfach in die Fußstapfen der ausgestorbenen, teilweise sogar von ihm selbst ausgerotteten Tiere.

Obwohl der Apfel keine verwaiste, anachronistische Frucht ist, sieht man auf Streuobstwiesen oft unzählige Äpfel in unterschiedlichen Reifungs- bzw. Fäulnisstadien am Boden herumliegen, weil der Mensch heutzutage lieber gefällige, größere, makellose Apfelsorten im Supermarkt kauft:

Dieses und das folgende Foto habe ich im März in der Eifel gemacht. Erstaunlicherweise wirken einige der Äpfel immer noch essbar, während andere komplett verfault und verschimmelt sind. Auffällig sind auch die geringe mittlere Größe dieser mutmaßlich alten Sorte und die erheblichen Größenunterschiede zwischen den einzelnen Früchten:

Trotz der vielen überreifen Früchte roch es unter diesem Apfelbaum nicht nach Most; dafür war es wohl zu kalt in der Eifel. Der Duft reifer Äpfel zieht viele Tiere und auch manche Menschen stark an, während andere ihn eher ekelerregend finden. Bekannt ist der Bericht Goethes über einen Besuch bei seinem Freund Schiller, der seine Frau angewiesen hatte, ihm stets einige überreife Äpfel in eine Schreibtischschublade zu legen, weil er ohne diesen Geruch nicht schreiben konnte. Als Goethe etwas in dem Schreibtisch suchte, wurde ihm so übel, dass er an die frische Luft musste.  

Schiller-Porträt von Ludovike Simanowiz, 1793
Friedrich Schiller, 1793 porträtiert von Ludovike Simanowiz

Die chemische Verbindung, die Schiller als Stimulans brauchte, ist Ethylen oder Ethen: der kleinste einfach ungesättigte Kohlenwasserstoff, der aus zwei Kohlenstoff- und vier Wasserstoffatomen besteht. Dieses schwach süßlich riechende Gas kann kurze Rauschzustände auslösen und lockt bestimmte Fructivoren an, da es die Reife der Frucht signalisiert. Im Pflanzenreich wirkt Ethylen als reifungsförderndes und -synchronisierendes Hormon: Sobald die erste reifende Stelle der ersten reifenden Frucht es ausscheidet, fördert es autokatalytisch seine eigene weitere Herstellung. So breitet sich die Reifung dann rasch auf andere Stellen der Frucht, andere Früchte desselben Baums und die Früchte benachbarter Bäume aus.

Früchte, die beim Reifen Ethylen verströmen, werden als "klimakterisch" bezeichnet. Sie sind zwar nicht in den Wechseljahren (dem Klimakterium), wohl aber in einer hormonell gesteuerten Transformation gegen Ende ihres Daseins. Neben Ethylen scheiden sie bei ihrer Reifung auch Kohlendioxid aus, und sie werden süßer und weicher. Neben Äpfeln und Birnen zählen auch Melonen, Mangos, Bananen, Ananas, Papayas, Pfirsiche und Aprikosen, Kakifrüchte, Pflaumen, Avocados und Tomaten zu den klimakterischen Früchten. In der Lebensmittelindustrie wird Ethylen zum Nachreifen solcher Früchte eingesetzt, die grün und unreif geerntet werden, das sie dann noch fest und damit besser zu transportieren sind.

Längst nicht jede Frucht ist klimakterisch: Oliven, Kakao, Erdbeeren, Trauben, Kirschen und Zitrusfrüchte zum Beispiel scheiden beim Reifen nicht auf einmal viel Ethylen und andere flüchtige Stoffe aus. 

Den Ökologen und Agrarwissenschaftlern Yuya Fukano und Yuuya Tachiki fiel etwas auf, als sie Listen der klimakterischen und der nicht klimakterischen Früchte betrachteten. Daraufhin unternahmen sie Datenbankrecherchen, die ihre Eingebung bestätigten. Ihr 2021 veröffentlichtes Paper zeigt: Klimakterische Früchte sind oftmals auch im reifen Zustand unauffällig gefärbt; sie (und, soweit bekannt, auch ihre Wildformen) sind im Mittel ganz schön groß; und sie fallen im reifen Zustand von der Pflanze ab. Nicht klimakterische Früchte sind oftmals rot oder orange und im Durchschnitt kleiner, und viele von ihnen bleiben auch im reifen Zustand an der Pflanze hängen.

Klimakterische Früchte setzen also zur Ausbreitung ihrer Samen auf große Tiere am Boden, die sie über ihren Duft anlocken. Ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - aber er fällt! Und dann lockt er mit berauschenden Düften Megafructivoren an, die seine Samen fortschaffen und andernorts keimen lassen.

Nicht klimakterische Früchte lassen ihre Samen dagegen von kleinen, fliegenden oder kletternden Tieren verbreiten, die sich stärker vom Sehsinn als vom Geruchssinn leiten lassen. Viele Vögel, etwa die Sperlingsvögel, können übrigens keinen Traubenzucker verdauen und sind daher nicht scharf auf klimakterische, überreife Früchte. Sie tun sich lieber an weniger süßen Beeren und so weiter in den Bäumen gütlich, die wiederum von den großen, am Boden lebenden Säugetieren in Ruhe gelassen werden.

Insofern hat er völlig recht, der Fuchs in Aesops Fabel: Die Trauben sind ihm, der in guter alter Megafructivoren-Tradition nicht auf Bäume klettert, viel zu sauer! 

Illustration von Milo Winter (1919): Der Fuchs und die Trauben

 

Quellen

Wissenschaftliche Arbeiten: 

Blogs und Magazine: