Muster des Monats; (c) Stephan Matthiesen 2011

Auf der Oberfläche dieses Gewässers sieht man weiße Schaumstreifen. Zwar kennt man die Schaumkronen auf Wellenkämmen, aber diese Streifen verlaufen nicht auf den Wellenkämmen, sondern quer dazu. Was geht hier vor?

Der Wind weht in den Bildern von rechts nach links, und die Wellenberge und Wellentäler verlaufen senkrecht dazu, also ungefähr in Blickrichtung, wie man in der linken Bildhälfte hier dank der Schattierung gut sieht:

Langmuir-Zirkulation; (c) Stephan Matthiesen 2011

Nun kann man sich zwar gut vorstellen, dass der Schaum auf den Wellen vom Wind irgendwie zusammengetrieben wird; am windabgewandten Ufer hat sich entsprechend viel Schaum (sowie Algen und anderes Treibgut) angesammelt. Aber müsste der Schaum auf dem See dann nicht irgendwie anders angeordnet sein, z.B. eher quer zum Wind in breiteren Streifen, die der Wind langsam vor sich her (hier nach links) treibt? Diese Streifen liegen aber nicht quer zum Wind, sondern entlang der Windrichtung. Wieso?

Langmuir-Zirkulation; (c) Stephan Matthiesen 2011

Ähnliche Fragen stellte sich wohl der Physiker Irving Langmuir, der 1927 bei einer Atlantiküberfahrt beobachtete, dass sich die Algen an der Oberfläche in langen Streifen entlang der Windrichtung ansammeln, ähnlich wie unsere Schaumstreifen. Er konnte sich das auch nicht erklären, erforschte es aber genauer und schrieb 1938 den ersten systematischen Fachartikel über das Phänomen, sodass es heute unter dem Namen Langmuir-Zirkulation bekannt ist, auch wenn es schon wesentlich früher beobachtet worden sein muss. So zitiert Bainbridge (1957) einen Bericht von Captain James Cook: "Am 9. des Dezember 1768 sahen wir die See bedeckt mit breiten Streifen gelblicher Farbe, einige davon eine Meile lang, drei- oder vierhundert Yard breit" - wohl die erste dokumentierte Erwähnung solcher Streifen, wobei aber mangels weiterer Details unklar ist, ob dies wirklich ein Beispiel für Langmuir-Zirkulation war oder etwas ganz anderes.

Jedenfalls ist das Phänomen nicht selten, aber oft nicht deutlich zu beobachten; ich habe in meiner wellen- und wasserreichen Bildersammlung kein weiteres Beispiel gefunden. Denn einerseits muss der Wind stetig wehen, aber auch wieder nicht so stark, dass die See zu kabbelig ist und alles durcheinandergemischt wird, und es muss genug Schaum oder anderes Oberflächenmaterial vorhanden sein, damit man überhaupt etwas sieht. Es wurde also sicher von vielen Seeleuten beobachtet, aber Langmuir war wohl der erste, der ihm genauer auf den Grund ging.

Dazu stellte Langmuir 1928 und 1929 einige schlaue Experimente am Lake George im US-Bundestaat New York an. Um die Oberflächenströmungen zu sehen, warf er Laub ins Wasser und zeichnete den Weg der Blätter nach; er beobachtete auch Ölfilme von Motorbooten (damals war der Umweltschutz noch nicht so stark entwickelt ...). Die Strömungen unter der Oberfläche sind schwieriger zu sehen: Langmuir nutzte dazu einige Regenschirme, die er mit dünnen Leinen an Glühbirnen (als Auftriebskörper) festband und mit Gewichten beschwerte, sodass sie in einer bestimmten Tiefe senkrecht im Wasser trieben, während die Glühbirnen an der Wasseroberfläche schwammen und die Position anzeigten. Für andere Experimente nutzte er Korken an Leinen sowie eine Aluminiumplatte, die er mit Gewichten und Glühbirnen so austarierte, dass sie waagrecht im Wasser trieb, ohne von selbst abzusinken oder aufzusteigen, sondern nur passiv der Wasserbewegung folgte; die große Aluminiumplatte konnte man auch noch in einiger Tiefe gut sehen.

Damit konnte er sehen, dass das Wasser in den Streifen (wo sich das Laub an der Oberfläche sammelte) absank, aber zwischen ihnen aus der Tiefe aufstieg. Es ergibt sich etwa folgendes Bild (meine Zeichnung beruht auf Abbildungen in Leibovich 1983, Open University 1989 und Thorpe 2004; genaue Quellenangaben siehe unten):

Langmuir-Zirkulation; (c) Stephan Matthiesen 2011

Der Wind, der über die Wasseroberfläche streicht, erzeugt Konvektionswalzen, die in Windrichtung liegen. Das Wasser in den einzelnen Walzen bewegt sich dabei spiralförmig in Windrichtung abwechselnd links- und rechtsdrehend (rote Spiralen, der Übersichtlichkeit halber sind in der Skizze nur zwei gezeigt). An der Grenze zwischen zwei Walzen steigt das Wasser auf bzw. sinkt ab, je nach der Drehrichtung der beiden Walzen. Objekte wie Schaum oder Algen, die auf der Oberfläche treiben, werden durch die Schraubenströmung jeweils zu den "Konvergenzlinien" (dort, wo das Wasser sinkt) hingetrieben, sodass sie sich dort ansammeln und die länglichen Streifen auf der Oberfläche bilden; den Pfad zweier solcher Oberflächenteilchens habe ich als grünen Pfeil eingezeichnet.

Spätere Forscher konnten das Strömungsmuster auch im Labor mit Wellentanks reproduzieren und die Strömung z. B. mit Farbtröpfchen verfolgen. Beobachtungen in der Natur sind allerdings nach wie vor schwierig; die Ozeanografie hat generell das Problem, dass man genaue Forschungen praktisch nur mit Forschungsschiffen machen kann, deren Einsatz teuer ist. Dennoch kann man z. B. mit modernen Sonargeräten die Wasserbewegung auf einer größeren Fläche genauer messen, als es Langmuir in den 1930ern möglich war. Dabei zeigte sich, dass das grobe, oben dargestellte Bild wohl stimmt, aber in der Praxis komplizierter ist: Die Zirkulationswalzen können sich teilen und wieder vereinen, und innerhalb großer Walzen können kleinere auftreten.

Die Langmuir-Zirkulation ist tatsächlich für die Ozeanografie sehr wichtig, denn sie gilt als ein wichtiger Mechanismus, durch den die Oberflächenschicht des Meeres gut durchmischt wird. Diese Durchmischung wiederum ist für das Plankton wichtig, also die Grundlage der Nahrungsnetze der Meere. Auch der Wärmehaushalt der Meere, also die Abgabe bzw. Aufnahme von Wärmeenergie aus der bzw. an die Atmosphäre, wird beeinflusst. Die Langmuir-Zirkulation dürfte sehr häufig auftreten, nur bemerkt man diese Strömungsmuster üblicherweise nicht, weil sie an der Oberfläche nur sichtbar sind, wenn dort Material treibt und sich zu Streifen anordnen kann.

Interessant ist übrigens, dass die Strömung in Windrichtung an den Konvergenzlinien viel schneller ist als dazwischen, teils sogar doppelt so schnell - dies muss man auch beachten, wenn man Wasserströmungen mit Treibbojen oder ähnlichem beobachten will, die sich in den Konvergenzlinien eventuell viel schneller bewegen als der Rest des Wassers.

Nun fehlt aber noch die Begründung, warum das Zirkulationsmuster eigentlich so ist. Vor allem widerspricht es ja der Intuition, dass das Wasser nicht irgendwie in Windrichtung vorangetrieben wird, sondern im Wesentlichen rechtwinklig dazu rotiert. Leider wird es nun kompliziert (aber wer durchhält und wacker weiter liest, kriegt am Ende noch Bilder von einem Steinkreis zu sehen!).

Erstens gibt es dazu mehrere Erklärungsansätze, und es ist nicht genau geklärt, welcher der beste ist und ob überhaupt alle beobachteten Langmuir-Zirkulationen auf dieselbe Weise entstehen. Zweitens beruhen sie alle auf ziemlich verwickelten strömungsmechanischen Überlegungen, für die ich auch keine intuitive Erklärungen gefunden habe; die Strömungsmechanik ist leider allgemein oft ein recht unintuitives Feld.

Eine wichtige Rolle spielt offenbar die sogenannte Stokes-Drift. Was ist das? Wenn man am Strand liegt und ein Stück Treibgut auf den Wellen beobachtet, sieht man, dass das Treibgut zwar mit den Wellen steigt und fällt, aber dabei kaum von der Stelle kommt, während die Wellen unter ihm durchlaufen. Wer als Kind schon mal ein Stück interessantes Treibgut draußen im Wasser gesehen hat, erinnert sich vielleicht an das ungeduldige Unverständnis darüber, warum die Wellen es denn nicht schneller an den Strand spülen. Der Grund ist, dass die einzelnen Wasserpakete in der Welle, und mit ihnen auch das Treibgut, eine Kreisbewegung ausführen: Die Wellenform und die Energie der Welle wird transportiert, nicht das Wasser selbst.

Das ist aber nicht ganz richtig, denn die regelmäßigen Oszillationen führen im Durchschnitt dazu, dass das Treibgut ganz langsam der Wellenrichtung folgt. Diese langsame Vorwärtsbewegung heißt Stokes-Drift, nach dem Physiker George Gabriel Stokes, der sie 1847 untersuchte. Auch für die Stokes-Drift finde ich keine gute intuitive Erklärung, aber sie entspricht der Alltagsbeobachtung, dass Treibgut eben ganz langsam mit den Wellen driftet und schließlich am Strand endet, statt ewig an der gleichen Stelle draußen im Meer zu kreisen.

Bei der Langmuir-Zirkulation kommt zur normalen Stokes-Drift noch etwas hinzu. Wenn sich die Stokes-Drift mit einer anderen Strömung verbindet, insbesondere mit einer Scherströmung (bei der die Strömung an verschiedenen Stellen unterschiedlich schnell ist), kann in der Kombination eine rotierende Bewegung entstehen. Eine Möglichkeit ist auch, dass der Wind nicht konstant bläst, sondern stellenweise in etwas unterschiedliche Richtungen, sodass sich kreuzende Wellensysteme und mehrere Stokes-Drift-Richtungen entstehen, die sich dann zu einer Rotationsbewegung kombinieren. Auch zeitliche Veränderungen muss man bedenken. Wenn sich z.B. der Wind etwas dreht, sind die Stokes-Drift-Richtung und die Windrichtung nicht mehr parallel, was ebenfalls zu Instabilitäten führen kann.

Der ganz unten angegebene Übersichtsartikel von Thorpe (2004) führt die einzelnen Möglichkeiten genauer aus und zeigt die entsprechenden strömungsmechanischen Formeln, um es mathematisch zu beschreiben, aber die qualitativen Erklärungen bleiben leider genauso vage und abstrakt; das Ganze ist einfach sehr unintuitiv. Jedenfalls folgert Thorpe auch, dass es in der Realität wohl mehrere Entstehungsmechanismen gibt, die je nach Situation auftreten, aber zu ähnlichen Strömungsmustern führen.

Andererseits gibt es auch Faktoren, die eine Langmuir-Zirkulation behindern, etwa eine stabile Stratifikation (Schichtung), z. B. wenn die Oberfläche durch die Sonne stark erwärmt wird, sodass das Oberflächenwasser deutlich wärmer als das Wasser darunter und nur sehr schwer zum Absinken zu bringen ist. Hier ist nun leicht zu verstehen, wie das die Rotationsbewegung verhindert, zu der das Wasser ja absinken und aufsteigen muss.

Das Gewässer auf den ersten Bildern ist übrigens eine Bucht des Loch Ròg an Ear, eines Fjords auf der Insel Lewis auf den Äußeren Hebriden an der schottischen Westküste. Dort stehen die Steinkreise und Steinreihen von Callanish, die größte heute bekannte Steinsetzung der Megalithkultur auf den britischen Inseln.

Callanish; (c) Stephan Matthiesen 2011

Sie wurde in der Jungsteinzeit vor etwa 5000 Jahren angelegt. Wie bei allen Anlagen dieser Art ist ihr genauer Zweck bzw. ihre Bedeutung in der damaligen Zeit und Gesellschaft wohl nicht mehr wirklich aufzuklären. Angesichts der Größe der Anlage und der einzelnen Steine kann man nur vermuten, dass es ein wichtiges Gemeinschaftsprojekt war.

Callanish; (c) Stephan Matthiesen 2011

Dass man solche Anlagen nur noch an wenigen Orten findet, etwa in Schottland oder der Bretagne, liegt übrigens wohl nicht daran, dass diese Orte besonders wichtig waren, sondern an ihrer Lage in sehr dünn besiedelten Randgebieten. Vermutlich gab es ähnliche Anlagen überall in Europa, doch anderswo wurden sie längst von Nachfolgegenerationen zerstört, etwa, um die Steine für andere Bauten zu verwenden.

Callanish; (c) Stephan Matthiesen 2011

Jedenfalls ist es auch für den modernen Menschen ein eigentümliches Gefühl, an einem Originalplatz zu stehen und Steine zu berühren, die für Menschen vor fünf Jahrtausenden schon eine Bedeutung hatten, auch wenn wir dieses Bedeutung nicht mehr kennen. Zu der Art, wie unser Gehirn intuitiv die Welt interpretiert, gehört auch dieses eigentlich "magische" Denken, bestimmten unbelebten Objekten eine besondere Bedeutung zu geben. Deshalb sprechen Originalorte und reale Objekte (in der Natur oder in Museen) die Menschen immer stark an, auch wenn man in Büchern oder Dokumentarfilmen eigentlich alles besser und genauer sehen kann als in der Wirklichkeit.

Callanish; (c) Stephan Matthiesen 2011

Literatur