Vorletzte Woche ist mir das kühle, trübe Maiwetter so aufs Gemüt geschlagen, dass ich etwas Untypisches und ökologisch Unkluges getan habe: Ich habe mir zwei kleine Sträuße mit Pfingstrosen gekauft. Der eine hatte rosa, der andere dunkelrote Knospen.

Nach einigen Tagen öffneten sich zunächst die rosa Kugeln, sodass ich einen ersten Blick ins Innere erhaschen konnte:

Die Hüllen der Kugeln bestehen aus den sogenannten Kronblättern der Blüten, im Volksmund auch Blütenblätter genannt. 

Wie eine Blüte im Querschnitt aufgebaut ist, zeigt diese Grafik. Eingefasst wird sie von grünen Kelchblättern (2). Im Inneren der Kronblätter (3) dürfen wir eine ganze Reihe Staubblätter erwarten, die aus Staubfäden und - an deren oberen Enden - Staubbeuteln (4) bestehen. In der Mitte des Blütenbodens (1) gibt es einen oder mehrere Fruchtknoten, aus denen je ein Stempel (5) aufragt. 

Tadaa - so ist es. Diese Blüte hat in der Mitte drei weiße, behaarte Fruchtknoten mit kurzen rosaroten Stempeln und ringsum zahlreiche gelbliche Staubblätter:

Ein anderes Exemplar hat dagegen nur zwei Fruchtknoten und Stempel:

Auch die Zahl der Kronblätter ist offenbar nicht exakt vorgegeben; bei vier der rosa Blüten sind es zehn, bei einer elf.

Inzwischen dürfte auch klar sein, was man auf dem Startbild sieht: einige seitlich aufgeplatzte Staubbeutel, aus denen der sattgelbe Pollen auf die Kronblätter rieselt. Ich bin den Pfingstrosen nämlich nicht nur mit der Handykamera, sondern auch mit dem USB-Mikroskop zu Leibe gerückt. Hier ein Bildausschnitt, auf dem man das obere Ende eines pelzigen Fruchtknotens, zwei der zungenförmigen Stempel und einige Staubbeutel sieht. Die Staubblätter mit den Staubbeuteln sind die männlichen, die Fruchtknoten mit den Stempeln die weiblichen Sexualorgane:

Und was ist mit den dunkelroten Pfingstrosen aus dem anderen Strauß? Ihre Knospenkugeln waren von Anfang an größer und öffneten sich etwas später. Und das Innere sieht völlig anders aus:

Wo in den anderen Blüten Staubblätter sind, finden wir hier, in den sogenannten gefüllten Blüten, zahllose weitere, gekräuselte Kronblätter:

Als diese Blüte allmählich verblüht war, habe ich noch einmal nachgesehen: In der Mitte versteckten sich drei verkümmerte Fruchtknoten. 

Verursacht wird die Umwandlung von Staubblättern in Kronblätter durch eine relativ einfache, bei vielen Zuchtformen von Gartenpflanzen verbreitete Mutation. Die meisten Rosen sehen zum Beispiel so aus, und es gibt auch gefüllte Gänseblümchen oder Sonnenblumen - man denke nur an die Gemälde von Vincent van Gogh.

Die Blühorgane entstehen nach dem sogenannten ABC-System: Sind in den Zellkernen nur Gene der Gruppe A aktiv, bilden sich die grünen Kelchblätter. Sind Gene der Gruppen A und B aktiv, entstehen die schmucken Kronblätter. In den Pollen produzierenden Staubblättern sind die Gengruppen B und C eingeschaltet. Im Fruchtknoten schließlich sind nur Gene der Gruppe C aktiv. Welche Gengruppen ein- oder ausgeschaltet werden, bestimmen sogenannte Transkriptionsfaktoren. Diese DNA-bindenden Proteine sind in einer weiteren Gengruppe codiert, den MADS-Box-Genen.

Nach einem ganz ähnlichen Organisationsprinzip wird z. B. bei Fliegen festgelegt, ob an einem Körpersegment Fühler, Beine oder Flügel entstehen. Und wie bei den Fliegen, denen durch eine Mutation etwa zusätzliche Beine aus dem Kopf wachsen können, gibt es auch bei den Blütenpflanzen Mutationen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass in einer Blütenanlage statt der Gengruppe C die Gengruppe B eingeschaltet wird. Voila: Statt Staubblättern bilden sich nun zusätzliche üppig-bunte Kelchblätter, zur Freude der Zierpflanzenzüchter.

Was viele menschliche Betrachter erfreut, ist für Insekten von Nachteil: Sie fliegen die farbenprächtigen Blüten vergebens an, denn hier gibt es keinen Nektar und keinen Pollen zu holen. Gefüllte Blüten sind steril; ihnen fehlen die männlichen Sexualorgane. Wenn Sie Ihren Garten oder Ihren Balkon bepflanzen, können Sie Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten unterstützen, indem Sie sich für nicht gefüllte Sorten entscheiden. Ein weiterer Vorteil: So bekommen Sie auch Früchte und Samen zu sehen, denn diese gehen aus befruchteten Fruchtknoten hervor. Hier zum Beispiel eine künftige Erdbeere:

Und das hier werden, wenn alles gut geht, einmal Salatgurken:

Allerdings sind viele Nutzpflanzensorten selbstbefruchtend; sie brauchen also keine Insekten - und müssen ihnen folglich auch nichts bieten. Diese Erdbeeren und Gurken entstehen ganz ohne Zutun der Brummer. Gefüllte Blüten sind also nicht die einzige Form des Betrugs an den Insekten, die wir mit unseren Züchtungsbemühungen ständig begehen. Gefüllte Pfingstrosen werden über Stecklinge vermehrt; sie brauchen gar keine Samen auszubilden. Und die "Gurke" auf meinem Balkon ist zum Teil (nämlich unter der Erde und im unteren Stängelbereich) eine Kürbispflanze, auf die eine Gurkenpflanze gepfropft wurde, damit ich im Sommer eine üppigere Ernte einfahren kann. Außerdem sind Kürbiswurzeln resistent gegen Mehltau, einen Schimmel, der Gurken gerne befällt.

Es gibt aber auch insektenfreundliche Pflanzen auf meinem Balkon, etwa diese Gazanie, an der sich gerade eine Fliege labt:

Gazanien, auch Mittagsgold oder Sonnentaler genannt, öffnen sich nur bei Sonnenschein. Das zeigt, dass das Wetter hier mittlerweile besser geworden ist, sodass ich bis auf Weiteres keine Blumensträuße mehr kaufen werde. Demnächst blühen auch die Küchenkräuter auf dem Balkon, und damit kommen dann hoffentlich die Bienen und Hummeln.