Ratebild, CC, Andrea Kamphuis

Kölner Dom im ersten Tageslicht. Ohne Filter. No Photoshop. Ischwör! Oder?

Das war leicht zu erraten: Natürlich handelt es sich um eine von hinten beleuchtete Pflanze. Genauer: um die Nebenblätter eines Rosenblatts, rot pigmentiert und "drüsig bewimpert", um gleich mal etwas Fachchinesisch zu vermitteln. Hier ein Ausschnitt eines anderen Rosenblatts.

Blattnervatur Rose, CC, Andrea Kamphuis

Was mich an Blattadern oder Blattnerven fasziniert, ist zum einen die Kombination aus gerichteten Strukturen und ungerichteten Querverbindungen - und zum anderen das Wechselspiel aus Ordnung und Unordnung, das für organische Muster so typisch ist. Das Leitbündel-Netzwerk erinnert an Luftfotografien von Reisfeldern oder an alte Stadtpläne. 

Als ich eben von den Nebenblätter eines Rosenblatts schrieb, war das kein Versehen: Botanisch betrachtet ist alles, was hier vom Stiel mit den drei Knospen nach rechts ragt, ein Blatt. Die sogenannte Blattspreite der Rose ist "unpaarig gefiedert"; sie besteht aus drei bis etwa neun Fiederblättchen - stets einer ungeraden Zahl. 

Rosenknospen mit Blatt, CC, Andrea Kamphuis

Blattadern erfüllen zwei Funktionen: Zum einen transportieren sie Wasser und gelöste Stoffe in die Blätter und das Photosyntheseprodukt Zucker in den Rest der Pflanze. Zum anderen geben sie den Blättern Halt, sodass sie sich zum Sonnenlicht ausrichten und Widrigkeiten wie Regen oder Wind trotzen können. Der Verlauf der Adern korreliert mit der Blattform. Er ist zum einen arttypisch und zum anderen von Blatt zu Blatt leicht unterschiedlich. Blätter wachsen nicht vorwiegend an der Spitze oder an der Basis, sondern "interkalar", also durch kleine Gruppen teilungsfähiger Zellen, die über die ganze Blattspreite verteilt sind. Dabei wachsen die Adern stets mit, und wo nötig, entstehen auch kleine neue Adern.

Sehen wir uns zunächst einige Laubblätter im Ganzen an. Den Anfang macht die Linde, die bei uns im Agnesviertel weit verbreitet ist:

Lindenblatt, Andrea Kamphuis

Das kleine Birkenblatt hat einen ähnlich gesägten Rand, aber eine andere Nervatur. Während bei der Linde fast jedes Zähnchen von einer dicken Blattader angesteuert wird, trifft das hier nur für die längsten Spitzen zu:

Birkenblatt, Andrea Kamphuis

Es folgen fünf im weitesten Sinne handförmige Blätter. Den Anfang macht der Hibiskus. Man erkennt gut, dass die dicken Hauptadern die Blattspreite aufspannen und ihren "Fingern" Halt geben:

Hibiskusblatt, Andrea Kamphuis

Das robuste Efeublatt hat fünf Hauptadern. Die davon abzweigenden Seitenadern erster Ordnung verzweigen sich erneut, und die Seitenadern zweiter oder dritter Ordnung treffen sich, sodass geschlossene Kreisläufe entstehen:

Efeublatt, Andrea Kamphuis

Dieses zarte Ahornblatt hat schon einiges mitgemacht. Wir sehen uns später noch ein Detail an:

Ahornblatt, Andrea Kamphuis

Weit weniger mitgenommen wirkt dieses ähnlich geformte, aber viel dickere Platanenblatt. Kein Wunder, dass Platanen so beliebte Straßenbäume sind:

Platanenblatt, Andrea Kamphuis

Papierdünn und hauchzart dagegen dieses Weinblatt, dessen Nervatur an das Lindenblatt erinnert:

Weinblatt, Andrea Kamphuis

Sehen wir uns nun Blattränder aus der Nähe an. Hier zunächst ein Löwenzahnblättchen. Die Adern zweigen von der Hauptrippe (am unteren Bildrand) ab, laufen noch kurz parallel zu ihr und biegen dann in Richtung Rand ab. Dieser wird aber von sehr feinen Nebenadern höherer Ordnung versorgt. Insgesamt geben die Adern wenig Halt; diese Aufgabe übernimmt die Hauptrippe:

Löwenzahnblatt, Andrea Kamphuis

Dieses Ilex- oder Stechpalmenblatt ist sehr dick und robust. Seine Dornen bedürfen keiner zusätzlichen Stütze durch die Nervatur:

Ilexblatt, Andrea Kamphuis

Zurück zur Linde. Bei ihr enden die dickeren Adern am Blattrand alle in Zähnchen. Auffällig die Querverbindungen, die überwiegend im rechten Winkel von den Hauptadern abzweigen:

Rand eines Lindenblatts, Andrea Kamphuis

Auch das hier stammt von einer Linde, aber von einem anderen Organ:

Linden-Hochblatt, Andrea Kamphuis

Es handelt sich um den Flügel eines alten Fruchtstands, also um ein längliches Hochblatt, das mit dem Stiel des ehemaligen Blütenstands verwachsen ist. Seine Adern dienen in erster Linie der Stabilisierung des Flügels und weniger dem Abtransport von Photosyntheseprodukten:

Linden-Fruchtstand, Andrea Kamphuis

Ein ähnliches Gebilde hat mich überhaupt auf die Idee für dieses "Muster des Monats" gebracht: eine ebenfalls geflügelte, merkwürdig gewachsene Ahornfrucht, die an einem der raren Sonnentage dieses Sommers im Biergarten auf unserem Tisch landete.

Ahornsame, Andrea Kamphuis

Wir wenden uns dem Blattgrund der Linde zu, also dem Stielansatz: Wir zählen sechs Hauptadern und zwei dünnere Adern parallel zum unteren Blattrand. Das Blatt ist, wie oben zu sehen war, leicht asymmetrisch; die "größere Hälfte" hat drei, die "kleinere Hälfte" (hier unten) nur zwei Hauptadern. Da die Nebenadern erster Ordnung auch hier etwa senkrecht von den Hauptadern abzweigen, treffen sie ihren jeweiligen Gegenpart in der Mitte zwischen zwei Hauptadern in einem Spitz- oder Rundbogen:

Blattgrund Linde, Andrea Kamphuis

Ganz anders der Blattgrund des an sich ähnlich geformten und ähnlich großen Platanenblatts. Die Deformation der "Parzellen" zwischen den drei Hauptadern zeigt, dass das Gewebe hier vor allem in eine Richtung gewachsen ist. Das Blatt hat sich quasi vom Stielansatz ausgehend gestreckt:

Blattgrund Platane, Andrea Kamphuis

Kleinere Störungen beim Wachstum kann das Adersystem mühelos ausgleichen, wie dieses Rosenblatt zeigt: Auf der Unterseite der Hauptrippe ist eine kleine Galle entstanden. Eine Nebenader erster Ordnung ist wegen der Wucherung zunächst in die falsche Richtung geschoben worden, hat dann aber kehrtgemacht und erfüllt seine Funktion:

Rosenblatt mit Galle, Andrea Kamphuis

Die vielen Querverbindungen und Nebenadern höherer Ordnung, die das Blatt in Parzellen unterteilen, machen das Transportsystem redundant und damit störungssicher. In diesem Ahornblatt sind viele Zellen von einem Pilz oder Virus befallen und dadurch abgestorben (hellgrüne, gelbe und braune Bereiche). Dennoch finden die Nährstoffe und Photosyntheseprodukte ihren Weg, indem sie anstelle abgestorbener und verstopfter Adern Umwege benutzen:

Ahornblatt, Detail, Andrea Kamphuis

Das System kann aber auch ausgenutzt werden. Die Blattläuse an der Unterseite dieses Lindenblatts stechen ihre Saugrüssel in die allerfeinsten Äderchen, die sogenannten Leitbündel, und zapfen den zuckrigen Saft ab. Doch trotz des massiven Befalls macht das Blatt keinen welken Eindruck; die Struktur hält:

Blattläuse unter Lindenblatt, Andrea Kamphuis

Nicht jede Ver- oder Entfärbung auf einem Blatt geht auf einen Insekten-, Pilz- oder Virenbefall zurück. Manchmal ist die Sprenkelung ein gewolltes Zuchtergebnis, etwa bei dieser Japanischen Akube, die in einem Beet am Fort X steht: Ihre Blätter sind panaschiert, haben also weiße Stellen, weil die Zellen dort keine funktionsfähigen Chloroplasten enthalten. Die Flecken lassen deutlich mehr Tageslicht hindurch als die grünen Bereiche ringsum:

Japanische Akube, Andrea Kamphuis

Auch die Blätter dieses Kletter-Spindelstrauchs (Euonymus fortunei) am Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz sind panaschiert. Vor allem aber zeigen sie, wie störungstolerant die Blattnervatur ist: Obwohl die Heckenschere beide Blätter tief eingeschnitten hat und das Gewebe an den Schnittkanten längst abgestorben ist, bleibt der Rest der Blattspreiten frisch und grün. Das Wasser und die Nährstoffe wählen eben Umwege und erreichen alle noch lebenden Teile des Blattes. Insofern ist die Bezeichnung "Nervatur" unpassend, denn Nervenfasern bilden - anders als Blutgefäße - keine geschlossenen Kreisläufe, sind also weitaus störungsanfälliger.

Spindelstrauch, Andrea Kamphuis

Zum Abschluss noch drei Sonderfälle. Hier zunächst ein Ausschnitt eines Farnwedels. Farne sind evolutionär viel älter als die höheren Gefäßpflanzen, die ich bisher gezeigt habe, und zeichnen sich durch eine urtümliche fächerförmige Blattnervatur aus, die noch keine Querverbindungen aufweist:

Farnwedel, Detail, Andrea Kamphuis

Gräser sind parallelnervig; auch bei ihnen fehlen Querverbindungen zwischen den Leitbündeln:

Grashalm, Andrea Kamphuis

Der Lebensbaum (Thuja) zählt zu den Koniferen. Seine Triebe mit den eng anliegenden Schuppenblättchen sind so dick, dass man die Struktur kaum erkennt, selbst wenn man sie auf einen Leuchttisch legt oder - wie hier - das Sonnenlicht hindurchscheinen lässt. Erstaunlicherweise sieht man aber doch etwas, nämlich kleine helle Flecken in der Mitte jedes Segments:

Thuja, Andrea Kamphuis

Es sind kugelige Öldrüsen, die einen aromatischen Duft freisetzen, wenn man die Triebe reibt. Noch jetzt, zwei Tage nach dem Einsammeln, duftet mein Thuja-Zweiglein vor sich hin - ebenso wie die Rosenknospe. Aber genug für heute: Pflanzendüfte gehen selbst bei großzügiger Auslegung nicht als "Muster in der Natur" durch, im Unterschied zu Blattadern.